Umstellung
Für den Kunstraum im Mariendom entwickelte Elke Punkt Fleisch mit Asche glasierte Keramikobjekte. Auf acht Tischen, die im Raum verteilt sind, platziert sie Systembretter, wie sie in der Familientherapie für Aufstellungsarbeit verwendet werden. Dazu hatte die Künstlerin zuvor Frauen eingeladen, mit Keramikobjekten die Konstellation ihrer eigenen Familie nachzustellen. Ausgehend von der „Heiligen Familie“ reflektiert Elke Punkt Fleisch in ihrer Installation die Position der Mutter im Gefüge und System heutiger Familien. Die Keramikobjekte sind Abformungen von Fingern und Händen der Künstlerin. Zentrales Objekt auf den Systembrettern ist eine aus Ton geformte Hand. Die jeweilige Frau und Mutter platziert die Gefäße, die für die Familienmitglieder stehen und legt das unglasierte „Handobjekt“ am Ende dieses Prozesses dazu, stellvertretend für die Haltungen und Gefühle dieser Rolle. Die Objekte für die einzelnen Familienmitglieder sind in erdigen, gedeckten Farben in Braun-, Ocker- und Grüntönen gehalten. Asche, die die Künstlerin für die Glasur verwendet, steht für Veränderung und Vergänglichkeit. Familien verändern sich in ihren Konstellationen, die Darstellungen auf den Tischen sind Momentaufnahmen.
Künstlerische Reflexion über Position und Rolle der Mütter
Die skulpturale Inszenierung ist der sichtbare Teil eines Reflexionsprozesses über Rollen und Beziehungen. Begleitend zu den Gesprächen mit den Müttern über ihre Herausforderungen, die Erwartungen an sie, die Aufteilung von Care-Arbeit und Verantwortung in der Familie entstand eine Sammlung von Zitaten, die als handschriftliche Aufzeichnungen in einem Heft an der Wand der Turmkapelle hängen.
Die Auswahl der Mütter und Gesprächspartnerinnen erfolgte durch die Künstlerin selbst. Sie repräsentieren unterschiedliche Familienkonstellationen, Herkunft und soziale Situationen. In Anlehnung an die Geschichte, den Ort und das Thema „Künstlerische Positionen zur Heiligen Familie“ stellt sie den sieben Familien der Gegenwart die Familie Jesu zur Seite. Auf einem Tisch in der Mitte des Raumes platziert die Künstlerin Maria, Josef und die „Geschwister“ Jesu, auf die in biblischen Texten Bezug genommen wird, in Form von Objekten. Der biblische Text spricht eindeutig von Geschwistern, von Brüdern und Schwestern Jesu. Ob es sich dabei um leibliche Geschwister, Stiefgeschwister, nahe Verwandte, Cousins und Cousinen oder im symbolischen Sinne um Mitglieder der christlichen Gemeinde handelt, ist eine Frage der theologischen Interpretation. Diese Frage steht nicht im Zentrum der künstlerischen Arbeit, sondern ist Ausgangspunkt für eine Reflexion über die Rolle der Frau und Mutter in einem komplexen, sich wandelnden Beziehungsgefüge - der Familie.
„Elke Punkt Fleisch lässt in ihrer Arbeit beide Aspekte des Wortes UMSTELLUNG evident werden: ‚Umstellen‘ als untrennbares Verb umfasst die Bedeutung des Einkreisens und Umzingelns, seine trennbare Form verweist auf das Verändern oder Anpassen an (neue) Umstände oder Erfordernisse. Die acht Nachstellungen von Familie sind angeordnet zwischen einem passiven ‚umstellt sein‘ und einem aktiven ‚Ich stelle um‘, denn die Mutterfigur ist stets umstellt, sie steht im Zentrum. Sie ist umstellt von traditionellen Frauenbildern, von einer überfrachteten Erwartungshaltung an Mutter-Sein, von gesellschaftspolitischen, oft ideologisch motivierten, Vorstellungen der ‚perfekten‘ oder der ‚heiligen‘ Familie. Sie ist auch umstellt von finanziellen Sorgen und alltäglicher Überforderung.
Die Mutter stellt um. Sie regelt und organisiert den Familienalltag, sie trifft Entscheidungen. Sie verändert Rollenbilder, und sie passt familiäre Abläufe und Verbindlichkeiten ihren Vorstellungen von Familie an. Sie stellt dabei - auch - das Umstellt Sein um, und sie stellt sich um. Dieses Umstellen des Umstellt Seins ist ein kontinuierlicher Akt der Selbstbestimmung“, so Dr.in Siglinde Lang, Assistenzprofessorin am Institut für Kunst in gegenwärtigen Kontexten und Medien an der Katholischen Privatuniversität Linz, bei der Eröffnung am 13. September 2024 in ihrer Einführung zum Werk.
Über die Künstlerin Elke Punkt Fleisch
Elke Punkt Fleisch studierte Plastische Konzeptionen/Keramik an der Universität für künstlerische und industrielle Gestaltung in Linz. Ihre künstlerische Auseinandersetzung führte sie über zahlreiche Stationen zu interdisziplinären Projekten, Ausstellungen und Ausstellungsbeteiligungen im In- und Ausland. Seit rund zwei Jahrzehnten verfolgt sie konsequent gesellschaftskritische Themenstellungen mit dem Material Ton. Ab- oder Nachformungen von Alltagsobjekten, wie aus Ton geformte T-Shirts, putzende Frauen, Bauarbeiter, in Massenware produzierte Kleidung oder Gemüse, werden zum Spiegel sozialer Strukturen. Mit dem zumeist traditionell konnotierten und im angewandten Bereich verorteten Material Ton schafft sie eine Reflexionsfläche, die tradierte Normen und Werte hinterfragt.
Die Installation Umstellung ist bis 2. Oktober 2024 im Kunstraum des Mariendoms (Turmkapelle West) zu den Öffnungszeiten zu besichtigen (8.00 bis 19.00 Uhr).