Projekt »Solidarische Gemeinde«. Eine Stellungnahme.
Die christlichen Kirchen wollen ihr ›Sozialwort‹ nicht bloß aussprechen, sondern sie rufen zur bewussten Auseinandersetzung damit auf. Insbesondere, da sich der gesellschaftliche Zusammenhalt aufzulösen droht. Was in Hashtag-Zeiten zu ›leave no one behind‹ wird, steht seit Jahrhunderten im Buch der Bücher: Die christlichen Kirchen sowie die Christ*innen, die sich ihnen zugehörig fühlen, sind aufgefordert, für diejenigen einzutreten, deren Lebensmöglichkeiten bedroht oder bereits infrage gestellt sind.
Das in Erinnerung zu rufen, ist besonders in Zeiten von Gemeinderats- oder Landtagswahlen wichtig, weil es dabei um eine Weichenstellung für die Zukunft geht. Die gegenwärtige politische Landschaft, ihr Sprechen in oberflächlichen, polarisierenden Slogans, ist überzeugten Christ*innen Anlass, im Sinne einer demokratischen Mitbeteiligung das Wort zu ergreifen und sich gegen Unmenschlichkeit, Nationalismus und Egoismus auszusprechen. Denn die christliche Weltanschauung ist diejenige einer solidarischen Gemeinschaft. Was darunter zu verstehen ist, verdeutlicht nachfolgende »Stellungnahme von Christinnen und Christen zur Gemeinde- und Landtagswahl in Oberösterreich am 26. September 2021«. Sie ist ihr Beitrag zu einem republikanischen, demokratischen Diskurs in Oberösterreich. Die zehn Punkte lehnen sich an das Projekt »Solidarische Gemeinde« des »Ökumenischen Rats der Kirchen in Österreich« an:
I. „Jeder hatte gesammelt, soviel er zum Essen brauchte“ (Exodus 16,18)
Die Speisungsgeschichten der Bibel weisen darauf hin, dass genug für alle da ist, deswegen werden alle satt. Sie mahnen auch, die Schere zwischen Arm und Reich im Blick zu behalten, sie nie allzu weit klaffen zu lassen. Derzeit ist diese Schere weit offen. Es ist ein Grundanliegen, für Ausgleich zu sorgen.
Wir unterstützen alle Maßnahmen, die zu einem existenzsichernden Einkommen für alle führen. Insbesondere die Reduktion der Wohnungskosten ist vordringlich.
II. „Gott setzte den Menschen in den Garten Eden, dass er ihn bebaue und bewahre“
(Genesis 2,15)
Durch die Schöpfung beruft Gott alle Menschen zu Mitarbeiter*innen. Dadurch erhält die Arbeit einen besonderen Stellenwert: Es soll in ihr nicht nur darum gehen, die Lebensgrundlage zu erwirtschaften, sondern sie ist Ausdruck der unverlierbaren Menschenwürde. In der Arbeit, in der Gestaltung der Welt können Menschen sich entfalten und ihre Begabungen zum Wohl aller einbringen. Umso belastender ist daher Arbeitslosigkeit.
An der Bewahrung der Schöpfung sind wir aktiv beteiligt und treten für Klimagerechtigkeit in den Bereichen Verkehr, Bautätigkeit und Freizeitwirtschaft ein.
III. „Ich war fremd, und ihr habt mich aufgenommen“ (Matthäus 25,26)
Flucht und Migration sind zentrale Themen der Bibel. Kirchen sind seit jeher auch Zufluchtsorte für Menschen in Not.
Wir sind für die menschenwürdige Aufnahme von Flüchtlingen und sind ihnen gegenüber gastfreundlich, höflich und unterstützend.
IV. „Arme habt ihr allezeit bei euch“ (Johannes 12,8)
Jesus, der selbst ohne Besitz lebte, hat keinen der Bettler, denen er gab, nach den Gründen seiner Armut gefragt, hat keiner Bettlerin schlechte Absichten unterstellt.
Wir möchten nicht, dass Bettler unsichtbar sein müssen.
V. „Den Elenden Recht schaffen und den Armen helfen“ (Psalm 72,4)
Immer wieder wird in der Bibel von alleinerziehenden Müttern erzählt. Meist sind sie in verzweifelter Not und brauchen Hilfe. Ihnen diese zu verwehren oder ihre Gefährdung, ihre Armut zu ignorieren, wäre nicht im Sinne der Bibel.
„Lasst die Kinder zu mir kommen“ (Markus 10,14)
Jesus lässt alle staunen – über seine Klugheit, sein Wissen. Da ist er gerade mal 12 Jahre alt. Diese biblische Erzählung soll uns auch unsere Verantwortung für Bildungsgerechtigkeit in Erinnerung rufen: Alle Kinder, unabhängig von ihrer Familie, ihrer Herkunft, haben ein Recht auf bestmögliche Bildung. Nur eine Gesellschaft, die es schafft, ihre Kinder zu mündigen und selbstbewussten Menschen heranwachsen zu lassen, hat eine Zukunft.
Wir sind bestürzt über Kinderarmut und wissen um die Bildungsbenachteiligung, die den Kindern durch die Pandemie entstanden ist.
Alleinerziehenden, vielfach von Armut bedroht, bringen wir besondere Achtung entgegen.
VI. „Denn mit dem Himmelreich ist es wie mit einem Gutsbesitzer, der früh am Morgen hinausging, um Arbeiter für seinen Weinberg anzuwerben … Um die dritte Stunde ging er wieder hinaus und sah andere auf dem Markt stehen, die keine Arbeit hatten.“ (Matthäus 20,1-3)
Auf jede freie Stelle kamen rein rechnerisch in den vergangenen Jahren bis zu 15 Bewerber*innen. Es ist ein ermattender Kampf mit massivem negativem Stress. Insbesondere für ältere Arbeitssuchende. Aber auch bei Menschen mit mittlerer Ausbildung ist der Stellenandrang enorm hoch. Menschen, die sich diesem Prozess des Bewerbens stellen, verdienen Respekt und nicht eine Existenz am Rand der Gesellschaft.
Arbeitslose werden durch uns nicht diskriminiert.
VII. „Er half vielen Kranken“ (Markus 1,34)
Das Heil der Seele und die Heilung des Körpers gehören im christlichen Denken zusammen. Krankheit darf nicht zu einer Existenz am Rand führen. Die Sicherung eines finanzierbaren und für alle offenen Gesundheitssystems ist daher ein eminent christliches Anliegen.
Wir lehnen die entstandene Zweiklassenmedizin ab und wollen den offenen, gleichen Zugang für alle.
VIII. „Wo du hingehst, will ich auch hingehen“ (Ruth 1,16)
Im biblischen Buch Ruth wird erzählt, wie die junge Witwe Ruth ihre Schwiegermutter Naomi begleitet und für sie sorgt. Die Selbstverständlichkeit, mit der Ruth ihre ältere Verwandte unterstützt, weil diese nur noch schwer allein zurechtkäme, berührt. Die Erzählung verweist uns auch darauf, zu prüfen, wie es um die Menschenwürde in unserer Gesellschaft steht, insbesondere im Umgang mit älteren, pflegebedürftigen Menschen.
Wir unterstützen Maßnahmen, die dem kommenden Mangel an Pflegekräften entgegenwirken.
IX „Was willst du, dass ich für dich tun soll?“ (Lukas 18,41)
So fragt Jesus einen Blinden. Und begegnet ihm damit auf Augenhöhe. Jesus lässt ihm die Möglichkeit, selbst über sein Leben zu bestimmen.
Die selbstverständliche Sichtbarkeit und Inklusion behinderter Menschen soll sichergestellt bleiben.
X „Vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unsern Schuldigern“ (Matthäus 6,12)
Schulden schaffen Abhängigkeit. Diese kann so schwer werden, dass kein Ausweg mehr existiert. Ein menschenwürdiges Leben wird unmöglich. Die Schuldenspirale zu stoppen eröffnet neue Lebensmöglichkeiten.
Verteilungsgerechtigkeit soll erneut ein zentrales Anliegen der Politik werden, auch um die Schuldenspirale, in die viele geraten, zu verhindern.
Als christliche Kirchen werden wir keine Wahlempfehlung aussprechen, sehr wohl aber einen Dialog über christliche Werte zu führen und Menschen dazu aufzurufen, diese auch bei ihrer Stimmabgabe zu bedenken. Die diesen 10 Punkten zugrunde liegende Publikation des »Ökumenischen Rats der Kirchen in Österreich« kann über die Homepage www.oekumene.at eingesehen werden.
Kontakt:
Dr. Wilhelm Achleitner, em. Direktor des Bildungshauses Schloss Puchberg
Quelle: Solidarische Gemeinde: nachzulesen auf www.oekumene.at/dokumente
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