Donnerstag 28. März 2024

Militärbischof Freistetter: Gewissen ist anerkannte Kategorie im Bundesheer

Im österreichischen Bundesheer hat das Gewissen eine wichtige Bedeutung, und seine Schärfung gehört zu den vorrangigen Anliegen der Militärseelsorge: Das stellte der Bischof der Militärdiözese, Werner Freistetter, im Kathpress-Interview am 20. Oktober 2017 klar.

Anlass gab das zehnjährige Jubiläum der Seligsprechung von Franz Jägerstätter (1907-1943) am 26. Oktober 2007. Der oberösterreichische NS-Kriegsdienstverweigerer und Märtyrer sei für Soldaten ein "wichtiges Vorbild für eine riskierte, überlegte und verantwortete Gewissensentscheidung in einer sehr schwierigen Situation" und zugleich ein "authentischer, glaubwürdiger Zeuge christlichen Glaubens", sagte der Bischof.

"Es gibt keinen absoluten Gehorsam im Bundesheer. Das wissen die Soldaten genau, das ist bei uns selbstverständlich im militärischen Dienstbetrieb und auch in den Dienstanweisungen so festgelegt", betonte Freistetter. Besonders treffe dies zu in Fällen, die etwa gegen strafgesetzliche Vorschriften oder das Völkerrecht verstoßen. Seit 1945 habe es viele Bemühungen gegeben, diese moralische Grundhaltung in Recht umzusetzen, doch seien diese Ansätze immer nur bedingt wirksam: "Wenn ich die ethischen Werte dahinter nicht verstehe, nutzt auch eine Rechtsvorschrift nichts. Wichtig ist daher, eine Gewissenshaltung schon internalisiert zu haben", so der langjährige Leiter des Instituts für Religion und Frieden (IRF).

Gewissensbildung sei aus diesem Grund Inhalt der militärischen Ausbildung und auch der Seelsorge, konkret im sogenannten "lebenskundlichen Unterricht" und in ethischen Seminaren. Eine noch größere Prägung geschieht jedoch laut Freistetter durch den Dienstbetrieb selbst: "Es geht um die Art und Weise, wie miteinander umgegangen wird, und um die Vorbildfunktion von Vorgesetztem. Das Alltagsverhalten wirkt viel tiefer als in einem Vortrag gesagt werden kann." Eine Schulung des Gewissens erfolge daneben auch durch die Aufarbeitung von Schilderungen aus militärischen Einsätzen wie in jüngerer Vergangenheit etwa auf dem Balkan, wo auch österreichische Soldaten Zeugen von Hass, Menschenrechtsverletzungen und deren Folgen wurden.

Das Gewissen sei nach christlichem Verständnis das Wissen um moralische Werte und ein "ständiger Begleiter unserer Entscheidungen". Besonders gefordert sei es bei gefährlichen friedenserhaltenden oder friedensstiftenden Missionen, aber ebenso im einfachen Umgang miteinander, so der Bischof. "Gutes und richtiges Handeln ist ohne Gewissensbildung nicht möglich. Wir Menschen sind keine Automaten, die mit rechtlichen Vorschriften und Dienstanweisungen gefüttert werden müssen und dann kommt das richtige dabei raus." Wichtig sei daher das "Handeln nach bestem Wissen und Gewissen".

 

Franz während der Militärdienstzeit in Enns.

Franz während der Militärdienstzeit in Enns. © Erna Putz



Prophet und Vorbild


Franz Jägerstätter werde in der Soldatenausbildung erwähnt und sei oft Anstoß für Diskussionen, da er in derratigen Momenten ein Vorbild sei, betonte Freistetter. Der Selige habe über "gewaltige innere Stärke und Überzeugung" verfügt, sichtbar in seinem Verhalten gegenüber der Familie und Freunden, aber auch gegenüber der kirchlichen Obrigkeit. Der Militärbischof erinnerte hier an den von Jägerstätter konsultierten Bischof Josef Fließer (1941-1955), von dem ebenfalls ein Gewissensurteil abverlangt wurde: "Für ihn stand die Situation der kirchlichen Gemeinschaft insgesamt auf dem Spiel. Kann ich Menschen in einer großen Zahl eine heroische Gewissensentscheidung abverlangen oder nicht?", beschrieb Freistetter das Dilemma des damaligen Linzer Oberhirten.

Geraten habe Bischof Fließer im Grunde, der NS-Obrigkeit zu vertrauen, "trotz allem, was damals schon geschehen ist und vielleicht absehbar war", wie Freistetter bemerkte. Diese Sichtweise verweise auf den Römerbrief (13, 1-7), bei dem der Apostel Paulus jede Regierung als "von Gott eingesetzt" bezeichnete. Allerdings besitze die Bibel mit der Darstellung des Römerreiches als Ungeheuer - bei Daniel und in der Offenbarung - auch Alternativen dazu. Der Militärbischof sprach sich für ein "genaues Hinschauen" aus: Eine auf Menschenrechte, Rechtsstaatlichkeit, Demokratie und Achtung der Menschenwürde verpflichtete Regierung verdiene das Grundvertrauen, "und im heutigen Österreich ist dies eindeutig der Fall". In etlichen Staaten müssten Christen dennoch auch heute diesen moralischen Vertrauensvorschuss hinterfragen.

Jägerstätter habe den NS-Staat "erstaunlich klar" als Unrechtsregime erkannt. "Er verfügte über prophetische Einsicht und innere Stärke, die wohl nicht viele Menschen damals und heute aufgebracht haben und aufbringen würden", sagte der Militärbischof. Viele der Zeitgenossen hätten dem nicht folgen können - und es sei heute schwer zu sagen, "ob man sich dieser Einsicht verschlossen hat, ob man gehofft hat, dass es nicht so schlimm kommen wird". Wichtig sei in der Darstellung des Seligen auch, "dass es nicht so war, dass er nicht dienen wollte", betonte Freistetter mit einem Verweis auf das Angebot Jägerstätters, als Sanitätssoldat zu dienen, hervor. Wäre es je zu einem Angriff NS-Deutschlands auf Österreich gekommen, wäre der grundsätzlich pazifistisch eingestellte Selige wohl zur Verteidigung des Landes bereit gewesen, spekulierte der Bischof.



Neues Bild der Deserteure


Ebenso wie sich das Bild Jägerstätters in den Jahrzehnten von seiner Ermordung und Seligsprechung habe sich auch die Bewertung von Deserteuren gewandelt, bemerkte der Militärbischof. "Heutige Generationen haben hier einen anderen Zugang als jene, für die das Überleben im Krieg noch eine existenzielle Erfahrung war." Auch die Diskussionen rund um die Wehrmachtsausstellung (ab 1995) hätten viel dazu beigetragen. Nachvollziehbar werde dieser Wandel in Revisionen von Urteilen von Standgerichten und zu Desertionen, jedoch auch durch die intensive Forschung über die NS-Täter insbesondere der vergangenen 20 Jahre: "Die Komplexität vieler Dinge ist mehr ins Bewusstsein gedrungen. Mein weiß jetzt besser, dass die Kategorien Schwarz-Weiß oft nicht greifen - bei gleichzeitiger klarer Sicht der ganzen Bandbreite der Verbrechen im Nationalsozialismus."

O-Töne des Interviews unter www.kathpress.at/audio

 

Kathpress

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