Sonntag 28. April 2024

Franz Jägerstätter: Der „einsame Zeuge“ des Gewissens

Die Hinrichtung von Franz Jägerstätter jährt sich am 9. August zum 80. Mal. Der Kriegsdienstverweigerer wurde seliggesprochen – ein Beispiel vorbildlichen Christseins.

Bischof Manfred Scheuer verfasste anlässlich der sich zum 80. Mal jährenden Hinrichtung von Franz Jägerstätter einen Beitrag für die Wochenzeitung "Die Furche" unter dem Titel Der "einsame Zeuge" des Gewissens.

 

„Ich bitte darum, dass sich die Leute über die Seligsprechung meines Mannes freuen können.“ So betete Franziska Jägerstätter am 20. Juli 2007 bei einem Gottesdienst in der Pfarrkirche St. Radegund. Das Gedenken an Franz Jägerstätter und seine Verehrung steht in einem mehrfachen Beziehungsrahmen: kirchlich zu Fragen der Heiligkeit und des Martyriums, gesellschaftlich und politisch in Auseinandersetzung mit der Kriegsvergangenheit, mit der Kriegsgeneration, mit der Barbarei und mit dem Terror der Nationalsozialisten, ethisch und pädagogisch mit den Themen von Krieg und Kriegsdienstverweigerung, Gewaltfreiheit, Friedenserziehung und Abrüstung, von Obrigkeit, Gewissen und Gehorsam. Franz Jägerstätter war und ist Wegbegleiter in der Suche nach Versöhnung und Frieden, so im Vietnamkrieg für US-Amerikaner, er ist Mahner für Gewaltlosigkeit und Abrüstung in den Zeiten atomarer Hochrüstung der 80er Jahre des 20. Jahrhunderts. Er war Anwalt auf der Suche nach der rechtlichen Verankerung von Zivil- und Friedensdienst. Er ist aber auch nahbar und vertraut als Mesner und Angehöriger des 3. Ordens des hl. Franz von Assisi. Seligsprechung bedeutet: sein Lebensweg, sein Glaube, sein Sterben ist bei Gott angekommen, ist geglückt. Sein Sterben ist kein Verlassen der Seinen, schon gar nicht ein Verrat an Frau und Kindern, sondern Konsequenz einer Liebe, der Gott wirklich Mitte und Zentrum des Lebens war.


Freilich gab es auch andere Reaktionen auf seine Seligsprechung. Die Kirche predige mit der Seligsprechung den Hass auf die Kriegsgeneration, so war es in einem Brief (an den Verf.) Anfang Juni 2007 nach der Veröffentlichung des Dekretes zum Martyrium Jägerstätters zu lesen. Ist er besser und sind die anderen schlechter? Wird er seliggepriesen und werden damit die anderen verdammt? Ist er jetzt der Sieger und sind jetzt die anderen durch die Kirche zu Verlierern gestempelt? Solche Fragen sind immer wieder zu hören. Wenn Jägerstätter recht hatte, wenn er den moralisch sittlichen Standpunkt eingenommen hat, wenn er sich aus der Tiefe des Glaubens heraus entschieden hat, sind dann die anderen im Unrecht, waren sie ungläubig und verblendet, sind sie verführt worden oder einfach der Banalität des Bösen auf den Leim gegangen? Wird durch eine Seligsprechung Jägerstätters der Sinn des Lebens der Kriegsgeneration zerstört, ihre Ehre und Würde verletzt, wird ihre Aufbauleistung zunichte gemacht, ihr Einsatz zu wenig geachtet? Seine Seligsprechung ist nicht in der Logik des Hasses, der Konkurrenz, des Neides, der Auf- oder Abwertung zu sehen. Eine Seligsprechung darf wie die Botschaft von der Auferstehung nicht leidensimmun und schon gar nicht triumphalistisch sein. Eine Seligsprechung ist nur unter dem Vorzeichen des Verzeihens, der Versöhnung, der Entgiftung und der Entfeindung recht zu verstehen.

 

Franz Jägerstätter

Der selige Franz Jägerstätter ist ein Mutmacher, sich Gott ganz auszusetzen und anzuvertrauen.
Foto © Erna Putz

 


Beeindruckend ist die Hellsichtigkeit oder anders gesprochen das Prophetische von Franz Jägerstätter. Er realisierte die Widerstandskraft des Glaubens gegenüber barbarischen Systemen der Menschenverachtung und der Gottlosigkeit und hatte die Gabe der „Unterscheidung der Geister“. Dabei geht es um ein Sensorium, Entwicklungen, die im Ansatz schon da sind, aber noch durch Vielerlei überlagert werden, vorauszufühlen. Dieses Sensorium blickt hinter die Masken der Propaganda und hinter die Rhetorik der Verführung. Es ist in der Lage, Antriebe, Motive, Strömungen und Tendenzen im individuellen, aber auch im politischen Bereich, zu Ende zu denken und zu Ende zu fühlen. Was steht an der Wurzel, wie ist der Verlauf und welche Konsequenzen kommen heraus? Positiv ist die Frage entscheidend, was auf Dauer zu mehr Trost, d.h. zu einem Zuwachs an Glaube, Hoffnung und Liebe führt. Es kann die Destruktivität des Bösen, das vordergründig unter dem Schein des Guten und des Faszinierenden antritt, sich aber als lebensverneinend und schädlich entpuppt, durchschauen. Die Unterscheidung der Geister ist – wenn man so will - ein geistiges Frühwarnsystem.

 

Bischof Manfred Scheuer

Bischof Manfred Scheuer verfasste anlässlich der sich zum 80. Mal jährenden Hinrichtung von Franz Jägerstetter den vorliegenden Beitrag für die Wochenzeitung "Die Furche" unter dem Titel Der "einsame Zeuge" des Gewissens.

Foto © Diözese Linz / Hermann Wakolbinger


Weg weisend ist der Lern- und Entscheidungsprozess Franz Jägerstätters in der Spur des Evangeliums: Nach negativen Erfahrungen der inneren Leere hat er in den frühen Dreißigerjahren so etwas wie ein Bekehrungserlebnis. Die Liebe zur Heiligen Schrift, eine tiefe eucharistische Frömmigkeit, das Einlassen auf Übungswege und Gebetsweisen, aber auch die Bereitschaft, sich politisch zu informieren und die Zeitereignisse zu diagnostizieren, gehören für ihn zur inneren Dynamik dieses Weges. Diese Dynamik schließt seine Spiritualität der Ehe und seine Liebe zu den Kindern, aber auch verborgene alltägliche Formen, Verantwortung für andere wahrzunehmen und Dienste zu verrichten, mit ein. Auf diesem Hintergrund wird der Glaube zur Unterscheidungs- und Entscheidungskraft. Um die Richtigkeit der Gewissensentscheidung musste er lange ringen. Er setzte sich dem Gespräch, dem Rat, der Korrektur aus. Seine Entscheidung kam sicher nicht aus der Arroganz dessen heraus, der ohnehin alles besser weiß und keinen anderen braucht. Jägerstätter war jedoch auch keiner, der der Mehrheit nach dem Mund redete. Er wollte sich nicht auf allgemeine Vorschriften und Regeln ausreden. So wurde er zum „einsamen Zeugen“ des Gewissens, das sich für ihn nicht durch die Autorität der Obrigkeit suspendieren ließ. Im Berliner Gefängnis schreibt er 1943: „Keiner irdischen Macht steht es zu, die Gewissen zu knechten. Gottes Recht bricht Menschenrecht.“ Aus einem gebildeten und reifen Gewissen heraus sagte er ein entschiedenes Nein zum Nationalsozialismus und wurde wegen seiner konsequenten Weigerung, in Hitlers Krieg als Soldat zu kämpfen, hingerichtet: „Somit glaub ich, hat mir Gott es (…) klar genug gezeigt und ins Herz gelegt, mich zu entscheiden, ob Nationalsozialist – oder Katholik!“ Der selige Franz Jägerstätter ist ein Mutmacher, sich Gott ganz auszusetzen und anzuvertrauen. „Nur wenige Menschen ahnen, was Gott aus ihnen machen kann, wenn sie sich ihm vorbehaltlos anvertrauen.“ (Ignatius von Loyola)

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