Freitag 29. März 2024

Jägerstätter-Gedenken 2019: Widerstand lebt auch von der Erinnerung

Jägerstätter-Gedenken

Zentraler Gedanke beim internationalen Jägerstätter-Gedenken am 8. und 9. August 2019:  „ProvokateurInnen der Erinnerung“ wie Franz Jägerstätter und die selige Sr. Restituta Kafka sind Vorbild in der Frage: Wo müssen ChristInnen heute mutig Widerstand leisten?

Der Innviertler Landwirt und Familienvater hatte sich aus Glaubensgründen geweigert, mit der Waffe für das Nazi-Regime in den Krieg zu ziehen. Daraufhin wurde er vom Reichskriegsgericht in Berlin wegen „Wehrkraftzersetzung“ zum Tod verurteilt und vor 76 Jahren, am 9. August 1943, in Brandenburg an der Havel durch Enthauptung hingerichtet.

 

Das jährliche Jägerstätter-Gedenken wird von der christlichen Friedensinitiative Pax Christi und der Pfarre St. Radegund organisiert. Es begann bereits am 8. August 2019 mit einem Abendgebet in der Kirche St. Radegund. Zum eigentlichen Gedenktag am 9. August kamen knapp 100 Personen: Sie waren aus Österreich, Deutschland, Italien und den USA angereist. Unter den TeilnehmerInnen waren u. a. Bischof em. Dr. Maximilian Aichern, die Jägerstätter-Töchter Maria Dammer, Aloisia Maier und Rosalia Sigl sowie weitere Familienmitglieder, Jägerstätter-Biografin Dr.in Erna Putz, der Vorsitzende des Jägerstätter-Beirats Bischofsvikar Mag. Maximilian Mittendorfer, der Leiter des Jägerstätter-Instituts Dr. Andreas Schmoller, der Leiter des Zentrums für Internationales Lernen an der Privaten Pädagogischen Hochschule der Diözese Linz und Jägerstätterbeirats-Mitglied Dr. Thomas Schlager-Weidinger, Elisabeth Jungmeier vom Jägerstätter-Beirat, US-Drehbuchautorin Lizzy Bentley, Mitglieder von Pax Christi, der Pfarrer von St. Radegund und Pfarradministrator von Tarsdorf Mag. Markus Menner und sein Vorgänger Josef Steinkellner sowie der italienische Priester Don Gian Luca Grandi aus Imola.

 

 

Provokateurin des Widerstands und der Versöhnung, die den Kreislauf der Liebe wieder in Gang brachte

 

Am Vormittag referierte im Pfarrsaal Tarsdorf um 9.30 Uhr Schwester Mag.a Dr.in Ruth Beinhauer aus Wien über ihre Mitschwester, die „Provokateurin des Glaubens – die Selige Restituta Kafka im Widerstand“, an deren 125. Geburtstag im Jahr 2019 gedacht wird. Beinhauer ist selbst Franziskanerin von der christlichen Liebe ("Hartmannschwester") aus Wien, lebte zwölf Jahre in Rom und ist Vizepostulatorin des Selig- und Heiligsprechungsverfahrens für Restituta Kafka. Derzeit bereitet sie die erste Ausgabe von Sr. Restitutas Briefen aus der Haft im Wiener Landesgericht vor. Sr. Restituta Kafka stammte aus dem mährischen Husovice (Hussowitz) bei Brünn und kam im Alter von zwei Jahren mit ihrer Familie nach Wien, wo sie bei den Hartmannschwestern Ordensfrau wurde und den Ordensnamen „Maria Restituta“ erhielt. Nach dem Ersten Weltkrieg wurde sie Krankenschwester im Spital Mödling und brachte es zur leitenden Operationsschwester. Nach dem „Anschluss“ Österreichs an NS-Deutschland 1938 weigerte sie sich, die von ihr trotz Verbots in einem neuen Spitalstrakt aufgehängten Kruzifixe wieder aus den Spitalszimmern zu entfernen. Zudem wurden ihr das Diktieren bzw. Vorlesen zweier regimekritischer Texte zum Verhängnis. Von der Gestapo direkt aus dem OP-Saal verhaftet, wurde sie wegen „Feindbegünstigung und Vorbereitung zum Hochverrat“ im März 1943 nach einjähriger Haft im Wiener Landesgericht enthauptet – als einzige Ordensfrau im Großdeutschen Reich.

 

Schwester Mag.a Dr.in Ruth Beinhauer wies in ihrem Vortrag darauf hin, Franz Jägerstätter und Restituta Kafka, die beide 1943 ermordet wurden, seien „die zwei Vertreter Österreichs, die auf dem Altar der Märtyrer unter dem Nationalsozialismus in einer unvergleichlichen sakralen Gedenkstätte vereint sind: auf der Tiberinsel in Rom in der Basilika San Bartolomeo all’Isola, die den – nicht nur katholischen – MärtyrerInnen und GlaubenszeugInnen des 20. und 21. Jahrhunderts aus allen Kontinenten und aus den verschiedensten Diktaturen dieser Welt gewidmet ist“. Beinhauer unterstrich einige Gemeinsamkeiten, die Franz Jägerstätter und Sr. Restituta Kafka verbinden. So seien beide aus einfachen Verhältnissen gekommen und hätten bewiesen, dass ein klarer Verstand und eine natürliche Religiosität ausreichten, um die verbrecherischen und antichristlichen Absichten des Nationalsozialismus zu durchschauen. Für beide sei der aktive Widerstand gegen den Nationalsozialismus kein Opfer, sondern eine fraglose und unumkehrbare Selbstverständlichkeit gewesen, von der sie weder Freund noch Feind abbringen konnte und die den Tod nicht fürchtete. Beide hätten Zeichen gegen den Krieg für und den Fahneneid auf den Verbrecher Hitler gesetzt. Beinhauer dazu: „Franz Jägerstätter tat das besonders als persönlich Betroffener ‚in eigener Sache‘, das heißt, durch die eigene Kriegsdienstverweigerung, Sr. Restituta durch das Diktat eines in Kreisen der ‚Österreichischen Freiheitsbewegung‘ zirkulierenden ‚Soldatenlieds‘, das die österreichischen Soldaten aufforderte, nicht länger für das ‚braune Sklavenreich‘ zu kämpfen.“ Beide seien anfangs auch in ihrer eigenen Kirche verkannt und kritisiert worden, „weil sie ihre religiöse Überzeugung nicht auf apolitische verborgene Gebete beschränkten, sondern ebenso durch politisch wirksame Taten des Widerstands zum Ausdruck brachten, und weil sie – anders als viele allzu diplomatische Kirchenvertreter – zum schreienden Unrecht nicht schweigen konnten“, wie Beinhauer ausführte.

 

Bezugnehmend auf den Titel ihres Vortrags betonte Beinhauer, das „Provozieren“ aus dem Glauben auf dreifache Weise – 1. andere, aber auch sich selbst herausfordern, 2. Glauben oder Offenheit für den Glauben hervorrufen, 3. Glauben fördern, schützen und verteidigen – stelle in einem glaubensfeindlichen, indifferenten oder fanatisierten Umfeld immer ein prophetisches Zeichen des Widerspruchs dar, wie Sr. Restitutas Leben und Sterben bezeuge. Das Todesurteil gegen Sr. Restituta sei ein unverblümtes Signal der Einschüchterung an die Adresse der katholischen Kirche gewesen: Wir haben keine Skrupel, selbst eine Ordensfrau auf das Schafott zu schicken! Beinhauer wörtlich: „Wohl aus Imagegründen blieb Sr. Restituta aber schließlich unter der NS-Gewaltherrschaft die einzige gerichtlich zum Tod verurteilte und auch tatsächlich hingerichtete Ordensfrau.“

 

In der Zeit ihrer Gefangenschaft sei Sr. Restituta zur Mutmacherin für ihre Mitgefangenen geworden, „die zunächst gar nicht wussten, dass sie Ordensschwester war, weil sie so natürlich und kameradschaftlich ohne fromme Allüren einfach als Mitgefangene unter Mitgefangenen lebte“, wie Sr. Ruth Beinhauer berichtete. So fütterte sie eine kranke Kindesmörderin, gab ihre Kartoffeln einer mangelernährten Schwangeren, sorgte für Milch und Butter auch für Jüdinnen und Ausländerinnen etc. Beinhauer über ihre Mitschwester: „Sie bezeugte Christus weniger durch Worte als vielmehr durch ihr Sein, vor allem stärkte sie die Mitgefangenen in ihrer menschlichen Würde und geistigen Widerstandskraft.“ Diese unvoreingenommene, stärkende Wirkung von Mensch zu Mensch habe Sr. Restituta die Herzen auch und gerade der KommunistInnen geöffnet, die von der Amtskirche und von katholischen Institutionen damals meist wie eine ansteckende Krankheit auf Distanz gehalten und als Gesprächspartner abgelehnt wurden, wie Beinhauer schildert: „So wie Restituta einerseits durch Widerstand und zum Widerstand provozierte, provozierte sie auch durch Versöhnung und zur Versöhnung. Sie schaute ihre Mitmenschen und kommunistischen Mitgefangenen mit respektvoller Offenheit an, ‚bedachte‘ alles ‚hinterher‘, änderte gegebenenfalls ihren Sinn, bereute unter Umständen manches Vorurteil, kehrte um, schlug eine neue Richtung ein, schuf eine neue Begegnungsbasis auf gleicher Augenhöhe und brachte dort, wo eben etwa zwischen Kommunisten und Katholiken durch Missverständnisse, Fehler, falsche Handlungen und Sünden (auf beiden Seiten) ‚Sand im Getriebe‘ oder die Kommunikation überhaupt zum Stillstand gekommen war, den Kreislauf der Liebe wieder in Gang.“

 

Sr. Ruth Beinhauer
Bewegend: Der Vortrag von Sr. Ruth Beinhauer über die selige Sr. Restituta Kafka

© Martin Pilgram 

 

 

Mutiges Handeln statt teilnahmsloses Zuschauen

 

So wie Glaube von der Erinnerung und der Gemeinschaft stiftenden, stärkenden Gegenwärtigsetzung des eucharistischen Opfers lebe, so lebe im übertragenen Sinn auch Widerstand von der Erinnerung und von der Gemeinschaft stiftenden, stärkenden Gegenwärtigsetzung der Opfer – der Opfer, die Menschen gebracht haben, und der Menschen, die sich zum Opfer gebracht haben: Davon ist Sr. Ruth Beinhauer überzeugt. Sr. Restituta Kafka sei, wie auch Franz Jägerstätter und andere, nicht nur Provokateurin des Glaubens, sondern als Märtyrerin aus dem Widerstand zugleich auch bleibende Provokateurin der Erinnerung. Beinhauers Appell: „Geradlinige und risikobereite Selige wie Franz Jägerstätter und Restituta Kafka sollen uns diesen notwendigen Anstoß geben, uns berühren, um uns aus unserem „standby“, aus dem teilnahmslosen Zuschauen, herauszuholen und immer neu zum Mut zu aktivieren, wie sie aus der Sicherheit der anonymen Masse der ‚bystander‘ herauszutreten, das jeweils bessere Handeln zu riskieren – und andere Menschen dabei mit auf den Weg zu nehmen.“ Abschließend gab Sr. Ruth Beinhauer jedem Christen, jeder Christin heute die Frage mit: „Wo muss ich als ChristIn heute in Gesellschaft, Politik und – ja, manchmal auch in der Kirche dagegen arbeiten, widersprechen und Widerstand leisten, um Böses bzw. Nicht-Gutes nicht unwidersprochen geschehen zu lassen? Welche Mittel kann, darf und soll ich dazu nützen? Mit anderen Worten: Wo muss ich zur ProvokateurIn des Glaubens werden?“

 

Sr. Ruth Beinhauer

Sr. Ruth Beinhauer: „Wo muss ich als ChristIn heute in Gesellschaft, Politik und manchmal auch in der Kirche Widerstand leisten?“ © Martin Pilgram 

 

„Ein Stück Evangelium, das im Leben verwirklicht ist“

 

Um 14 Uhr führte eine Fußwallfahrt von Tarsdorf nach St. Radegund, wo um 16 Uhr eine Andacht zur Todesstunde von Franz Jägerstätter stattfand, die von Pax Christi gestaltet wurde. Musikalisch begleitet wurde die Andacht von einem Jägerstätter-Enkel und zwei -Urenkeln. Vor der Messe am Abend wurden auf dem Jägerstätter-Platz vor der Kirche die Namen jener Menschen aus dem Dekanat Ostermiething und der Stadt Braunau verlesen, die von 1934 bis 1945 vom NS-Regime verfolgt worden waren.

 

Innehalten beim Jägerstätter-Haus
Verlesen der Namen jener Menschen aus dem Dekanat Ostermiething und der Stadt Braunau, die von 1934 bis 1945 vom NS-Regime verfolgt worden waren.
Verlesen der Namen jener Menschen aus dem Dekanat Ostermiething und der Stadt Braunau, die von 1934 bis 1945 vom NS-Regime verfolgt worden waren.

© Martin Pilgram 

 

Um 19.30 Uhr feierte Bischof em. Maximilian Aichern mit den TeilnehmerInnen die Hl. Messe in der Pfarrkirche von St. Radegund, die vom Kirchenchor St. Radegund musikalisch gestaltet wurde. In seiner Predigt verwies Aichern neben Franz Jägerstätter und Sr. Restituta Kafka auch auf die hl. Benedicta vom Kreuz, die Karmelitin Edith Stein, deren Gedenktag die Kirche am 9. August feiert und die am 9. August 1942 im KZ Auschwitz-Birkenau ermordet wurde. Aichern betonte, ChristInnen wie Edith Stein, Schwester Restituta Kafka und Franz Jägerstätter seien „ein Stück Evangelium, das im Leben verwirklicht ist“. Für sie gelte nicht nur Jesu Seligpreisung in der Bergpredigt, dass das Himmelreich denen gehöre, die um der Gerechtigkeit und um Jesu willen verfolgt würden. Sie seien auch auch Hungernde und Dürstende nach der Gerechtigkeit, Barmherzige und Friedensstifter gewesen. Der emeritierte Bischof wörtlich: „Erst heute wird uns richtig bewusst, wie sehr die Standhaftigkeit dieser ChristInnen – Jägerstätter, Sr. Restituta, Sr. Edith Stein – ihr Leiden und Sterben, ebenso wie bei den anderen GlaubenszeugInnen, für uns alle geschehen ist, für uns alle Bedeutung hat. Es ist ein Teil jener Liebe unseres Herrn Jesus Christus, der auch sein Leben eingesetzt und hingegeben hat. Wir spüren ihren Geist bei der Erinnerung an sie und an ihr Beispiel. Sie sind gegenwärtig im Wirken der Menschen, im solidarischen Handeln in ihrem Geist, in unseren Feiern und Aktionen.“ Diese GlaubenszeugInnen erinnerten auch heute daran, dass, wenn es um politische Verantwortung, um Lebenswerte und Menschenrechte gehe, ChristInnen nicht abseits stehen und sich heraushalten könnten, nicht „neutral“ seien könnten, betonte Aichern. Dabei komme dem Gewissen des und der Einzelnen eine immer größere Bedeutung zu. Aichern schloss mit den Worten: „Das Beispiel dieser MärtyrerInnen und das große Echo vor allem bei der Jugend sind Zeichen der Hoffnung, dass nicht Ungerechtigkeit und Unterdrückung, Terror und Krieg das letzte Wort haben, sondern dass vielmehr die Liebe, und gerade jene, die bereit ist, das Leben für die anderen hinzugeben, die stärkere Kraft ist.“

 

Messe mit Bischof em. Aichern in St. Radegund.
Bischof em. Maximilian Aichern bei seiner Predigt.

© Martin Pilgram 

 

Den Abschluss des Gedenkens bildete eine Lichterprozession zum Grab von Franz und Franziska Jägerstätter (1913-2013), der Frau des seligen Franz Jägerstätter.

 

Lichterprozession zur Jägerstätter-Grabstätte
Lichterprozession zur Jägerstätter-Grabstätte
Das Grab von Franz und Franziska Jägerstätter
Das Grab von Franz und Franziska Jägerstätter
Jägerstätter-Angehörige und die drei Töchter Aloisia Maier, Rosalia Sigl und Maria Dammer mit Mag. Maximilian Mittendorfer (3. v. l.), Bischof em. Dr. Maximilian Aichern, Dr. Andreas Schmoller (2. v. r.) und Dr. Thomas Schlager-Weidinger
Die Jägerstätter-Töchter Maria Dammer, Aloisia Maier und Rosalia Sigl (vorne, v. l.) mit Dr. Thomas Schlager-Weidinger, Dr. Andreas Schmoller und Mag. Bischofsvikar Mag. Maximilian Mittendorfer.
Jägerstätter-Tochter Maria Dammer mit Bischof em. Maximilian Aichern beim Grab von Franz und Franziska Jägerstätter.

© Martin Pilgram | © Elisabeth Jungmeier

 

Lesen Sie auch: Wie viele Franz Jägerstätter hat es gegeben? (online in der Linzer KirchenZeitung)

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