"Ich habe Zeit"
Die Kirchentür ist aufgesperrt.
Eine Kerze brennt seit 13. März.
Ich setze mich in die erste Bankreihe – diesen Platz hab ich lieb gewonnen in den vergangenen Tagen – und ich hab Zeit – Zeit zum Beten und Zeit für die Stille.
Sitzen, Lauschen …
… na, ja, so ganz still ist es nicht in unserer Kirche. Die Holzbalken knarren manchmal so laut, wie wenn jemand eine Tür öffnen würde. „Ist da jemand hereingekommen?“, frage ich mich. Und gleichzeitig muss ich innerlich über mich schmunzeln. Ja, da ist jemand – der (die) nicht nur jetzt hereinkommt, sondern immer da und auch dort ist – der ICH BIN, DER ICH BIN – und ich hab Zeit, diesen Gedanken zu betrachten, zu meditieren, zu verkosten.
Blicke durch den Garten
Ich begebe mich auf den Weg nach Hause. Es ist (noch) still. Meine Frau ist außer Haus und unser Sohn schläft noch.
Ich setze mich an den Tisch, genieße eine Scheibe Dinkelbrot – herrlich der Geschmack – und dazu eine wärmende Tasse Kräutertee. Kalt ist es gewesen in der vergangenen Nacht – und ich hab Zeit, das Brot und den Tee schluckweise zu genießen.
Mein Blick schweift durch den Garten. Ich mag diesen Anblick – und ich hab Zeit, um einfach da zu sitzen und zu schauen.
Die Wiese ist schon grün, manche Sträucher treiben schon aus. Apfel- und Zwetschkenbaum warten darauf, ihre Blüten zu öffnen, die Birke ist heuer noch im Winterschlaf – da bin ich gar nicht böse als Pollenallergiker. Schneerosen blühen gerade noch, Märzenbecher und Buschwindröschen sind in voller Blüte und die frühen Tulpen beginnen sich einzufärben. Die dunkelroten Blätter der Strauchpfingstrose sind schon ganz deutlich zu erkennen und Gänseblümchen in der Wiese haben der kalten Nacht getrotzt – und ich hab Zeit, mich daran zu freuen.
Am Futterhäuschen tummeln sich noch eine Menge Vögel – Kohlmeisen und Blaumeisen, Spatz und Finken, Kleiber und Specht, Stare und der freche Fasan, der sich auf das Dach setzt und so lange am Netz der Meisenkugel herumhackt, bis sie zu Boden fällt, damit er sie ganz für sich hat.
Interessant, die Verhaltensweisen der Vögel; manchmal sehr menschlich – die einen ganz schüchtern und ängstlich, andere machen sich wichtig, plustern sich auf, behaupten einen Platz für sich alleine … oder sind es die Menschen, die sich manchmal so benehmen als hätten sie einen …(so, das ist jetzt ein frecher Gedanke) – und ich hab Zeit, um meinen Blick schweifen und meinen Gedanken freien Lauf zu lassen.
Das Biotop ist heute von einer ganz dünnen Eisschicht überzogen. Ganz und gar zerbrechlich.
Für wie viele Menschen ist es jetzt auch so, dass sie ihr Leben ganz zerbrechlich erleben?
Für die etwas zerbricht oder schon zerbrochen ist? – und ich hab Zeit, um an sie zu denken, und ich hab heute auch Zeit, um manche von ihnen, die ich kenne, anzurufen und mit ihnen zu sprechen.
Im Gemüsegarten wartet die Erde darauf für Aussaat und Pflanzung bearbeitet zu werden. Da juckt es in meinen Fingern, und ich spüre Vorfreude darauf, endlich damit zu beginnen. Hacken, Rechen, Jäten, Säen, Pflanzen, Gießen, Warten, Ernten. Grünkohl und Porree kann ich jetzt noch immer ernten, Schnittlauch und Petersilie habe ich schon wieder ernten dürfen und ich hab Zeit, dem Lied in mir zu lauschen: „Und Leben regt und reget sich, und Ordnung tritt hervor, und überall, all überall tönt Preis und Dank empor, tönt Preis und Dank empor.“
Ich mag dieses alte Lied. Wir singen es sonst immer in der Osternacht nach der ersten Lesung.
Exultet - die "Heilige Halle" soll tönen
Heuer werden wir es zuhause singen, doch vorher gehe ich in die Kirche und stimme in der leeren Kirche das „Exultet“ an.
Trotz allem, was heuer anders ist, die „Heilige Halle“ soll wieder tönen.
Und ich singe für die Einsamen, die Traurigen, die Menschen in den Flüchtlingslagern und für die, die auf der Flucht sind. Ich singe es für die Familien, die Kinder und Jugendlichen, die Alten und die Jungen, die Gesunden und die Kranken. Ich singe es für die, die um ihre Arbeit bangen, und die, die sie verloren haben, für die, die so viel arbeiten mussten in den vergangenen Tagen und Wochen und es auch in Zukunft tun werden. Ich singe es für alle, die wichtige Entscheidungen treffen müssen. Ich singe es für die, die in den Pfarrgemeinden gerade auch jetzt den Menschen nahe sind, und ich singe es für die, die uns heute fehlen, und ich singe es für mich, das Lied, das Auferstehung ankündigt – und ich habe Zeit dazu, es zu singen.
Bruno Fröhlich ist Pfarrassistent in Hagenberg im Mühlkreis und Referent für Seelsorgeteams
(Der Text entstand vor gut einer Woche, als es noch etwas kälter war…)