Mag. Karl Ramsmaier
Sehr geehrte Damen und Herrn!
April 1945: Das Ende des Krieges war schon zum Greifen nahe. Da geschah in unseren Dörfern und Gemeinden etwas, das uns bis heute sprachlos macht, etwas, das mit Worten (fast) nicht zu beschreiben ist, etwas, das unser Verstehen weit übersteigt. Unschuldige, wehrlose, erschöpfte Menschen, die vor lauter Hunger Gras und Schnecken aßen, wurden durch die Dörfer getrieben. Sie wurden gedemütigt, geschlagen, erschossen und am Straßenrand liegen gelassen.
Oktober 2017: 72 Jahre nach diesen furchtbaren Ereignissen werden in Sierning zwei Denkmäler zur Erinnerung an diese Menschen enthüllt. Ein Denkmal für zehn erschossene ungarische Juden und ein zweites Denkmal für 26 KZ-Opfer des Todesmarsches der Saurer-Werke.
Dass dies heute möglich ist, hat drei wichtige Voraussetzungen gehabt,
-
die vorbildliche Zusammenarbeit der Pfarre und der Gemeinde Sierning, namentlich von Pfarrer Karl Sperker und Bürgermeister Manfred Kalchmair.
-
die akribische, historische Forschungsarbeit von Dr. Ines Bernt-Koppensteiner – das Buch „nirgendwohin“ – Todesmärsche durch OÖ. 1945.
-
und die Bereitschaft der Sierninger Bevölkerung sich mit diesen Ereignissen auseinanderzusetzen und darüber zu reden.
Im Winter 1944/45 wurden ungarische Jüdinnen und Juden im Südburgenland und in der Südsteiermark als Zwangsarbeiter zum Bau des sog. Südostwalls eingesetzt. Er sollte die Rote Armee aufhalten, ein sinnloses Unterfangen, das vielen Menschen das Leben kostete. Ende März 1945 wurden diese Zwangsarbeiter nach Graz-Liebenau getrieben, wo die kranken und entkräfteten von ihnen ermordet wurden. Am 7.April 1945 begann von dort der Todesmarsch Richtung Mauthausen, über Voitsberg, Judenburg,Trieben, Liezen, Spital/Phyrn, Michldorf, Kirchdorf, Adlwang, Waldneukirchen und Sierning. Drei Pässe mussten die völlig entkräfteten Menschen bewältigen. Hunger und brutale Gewalt waren die ständigen Begleiter. Der Tod war immer in der Nähe. Bei Problemen oder wenn jemand aus der Marschkolonne ging, sollte sofort geschossen werden, so der Auftrag. Geringe und minderwertige Verpflegung ließ oft auch noch die wenigen Kräfte schwinden. Jedem, der helfen wollte, wurde angedroht, dass er erschossen würde. Trotzdem gab es auch Hilfe, meist von Frauen. Am 19.April 1945 erreichte dieser „Judentransport“, wie gesagt wurde, Sierning. Der Transportleiter soll gesagt haben „Jetzt kommt wieder ein Friedhof, da wird es schon besser“1 und meinte damit wohl, dass man dort die Marschunfähigen erschießen und begraben kann. Später sagte er „Wenn ihr nicht marschieren könnt, fahren wir zum Friedhof.“2 Tatsächlich wurden 14 Juden von zwei einheimischen und zwei ungarischen Gendarmen mit Gewalt zum Friedhof getrieben. Auch ein Argument für deren Erschießung hatten sie sich zurechtgelegt. Sie wären typhusverdächtig. „Ein Jude kniete sich vor dem Transportleiter nieder und bat diesen mit erhobenen Händen um Gnade, man möge ihn nicht erschießen, da er nicht typhusverdächtig sei und für eine Familie mit vier Kindern zu sorgen habe.“3 Fünf Juden konnten fliehen, einer wurde später in einem Schuppen erwischt und ebenfalls erschossen. Einer der einheimischen Gendarmen hatte vorher schon geäußert, dass er als Rache für drei im Krieg gefallene Familieangehörige auch drei Juden erschießen werde.4 Später erzählte er, dass er im Friedhof in Sierning vier Juden „umgelegt“5 habe. Die Täter bekamen nach dem Krieg meist nur geringe Strafen oder kamen überhaupt straffrei davon.
1946 wurden auf Anordnung des Kreisgerichtes Steyr an der Südmauer des Sierninger Friedhofes zehn Leichen exhumiert. Man fand dabei auch ein jüdisches Gebetbuch. Die Namen der Opfer sind uns leider nicht bekannt. Ob die Leichen danach wieder im selben Grab beigesetzt wurden oder an einem anderen Ort z.B. hinter dem Totenhäusel kann nicht mehr geklärt werden.
Lange wurde das Grab mit mehr als 20 KZ-Opfern in der hinteren Ecke des Friedhofes für das Grab der jüdischen Opfer gehalten.
Das zweite Denkmal, das wir heute enthüllen, erinnert an 26 KZ-Opfer des Todesmarsches der Saurer-Werke. Im KZ-Außenlager Saurer-Werke (Wien) wurden 1480 KZ-Häftlinge „bei der Produktion von Panzerschleppern“6 eingesetzt. Am 2.April 1945 begann der Todes-marsch von 1274 KZ-Häftlingen von Wien nach Steyr. Die Häftlinge sollten nicht in die Hände der herannahenden Roten Armee fallen. Der Weg führte über Purkersdorf, an St.Pölten vorbei, über Scheibbs und St.Peter /Au nach Steyr. Eine Transportliste gibt später 1076 Häftlinge, vor allem aus Polen, Russland, Italien, Frankreich und Jugoslawien an, nicht ganz 10% davon waren Juden. „Wir waren erschöpft, völlig ermüdet vom Hunger, unsere Decke und unser Lebensmittelsack rieb uns die Schultern wund. Die Wunden, die ich an den Füßen hatte, ließen mich besonders leiden“,7 schreibt Georges Mazoyer und weiter. „Man musste um jeden Preis durchhalten, die geringste Schwäche bedeutete den Tod, wir fühlten uns am Ende und wir wollten leben. Wir mussten bis ans Ende marschieren oder sterben. Jene, die der Kolonne nicht mehr folgen konnten, wurden unbarmherzig von der SS niedergemetzelt.“ 8
Das KZ Münichholz konnte die Häftlinge wegen Überfüllung nicht aufnehmen. So wurden sie um den 17.April 1945 in drei Bauernhöfen in Gründberg/ Gemeinde Sierning einquartiert.
„Die Verpflegung war so gering, dass die Häftlinge oft Gras kochen und essen mussten“, schildert ein Zeitzeuge.9 George Mazoyer schmeckte eine Suppe aus verfaulten Rüben so gut wie noch nie eine Suppe in seinem Leben geschmeckt hat, vor lauter Hunger.10 Kranke und erschöpfte Häftlinge wurden von den SS-Bewachern einfach erschossen, liegen gelassen und oft erst später notdürftig verscharrt. Am 23.April 1945 marschierten die Häftlinge ins KZ-Münichholz, wo inzwischen wieder Platz war. Vorher wurden an diesem Tag in Gründberg 15-20 Marschunfähige erschossen.11 Mitte März 1946 wurden 26 Leichen von KZ-Häftlingen exhumiert und am Ortsfriedhof in Sierning bestattet. Einer der Ermordeten ist der Franzose Lucien Truffy. „Kaum konnte er sich auf den Beinen halten, die wenigen Franzosen seiner Kolonne waren um ihn herum, stützten ihn und sprachen ihm Mut zu, so gut es ging.“ Lucien Truffy war am Ende seiner Kräfte. „Ich kann nicht mehr“, sagte er zu seinen Kameraden, „legt mich an den Straßenrand.“ Dann erschoss ihn ein SS-Mann und stieß ihn zur Steyr hinunter. Noch zwei Opfer sind uns namentlich bekannt. Henryk Krowicki aus Polen und der Deutsche Emil Klausat.
Angesichts dieser Opfer der Nazi-Barbarei bleiben einem die Worte im Hals stecken, wenn ein Gemeinderatskandidat einer rechtspopulistischen Partei im Burgenland, wie im August 2017 bekannt wurde, das Aufsperren von Mauthausen forderte,12 einer Partei, die demnächst in der Regierung sitzen wird.
„Wehret den Anfängen“ wird täglich wichtiger. „Wehret den Anfängen“.
Mag. Karl Ramsmaier
1 Ines Bernt-Koppensteiner, Nirgendwohin. Todesmärsche durch Oberösterreich 1945. Eine Spurensuche in die Zukunft, Steyr 2015, 216
2 Ines Bernt-Koppensteiner, Nirgendwohin, 217
3Ines Bernt-Koppensteiner, Nirgendwohin, 220
4 Ines Bernt-Koppensteiner, Nirgendwohin, 210
5 Ines Bernt-Koppensteiner, Nirgendwohin, 226
6 Ines Bernt-Koppensteiner, Nirgendwohin, 376
7Ines Bernt-Koppensteiner, Nirgendwohin, 385
8 Ines Bernt-Koppensteiner, Nirgendwohin, 386
9 Ines Bernt-Koppensteiner, Nirgendwohin, 398
10 Ines Bernt-Koppensteiner, Nirgendwohin, 386
11 Ines Bernt-Koppensteiner, Nirgendwohin, 403
12 Mauthausen Komitee Österreich, Die FPÖ und der Rechtsextremismus. Lauter Einzelfälle, Ergänzungsblatt