Die Geburt unseres Herrn und Erlösers Jesus Christus
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In der Orthodoxen Kirche beginnt bereits in November die traditionelle vierzigtägige Weihnachtsfastenzeit. In dieser Zeit bereiten sich die Orthodoxen Christen in Stille und innerlichen Kontemplation auf die Geburt Christi vor.
Nach Orthodoxen Verständnis ist die Geburt Christi ein kosmologisches Ereignis, welches die ganze Weltgeschichte umfasst. Konkret bedeutet das, dass in diesem Augenblick der Geburt in der Höhle zu Bethlehem die Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft mit einander vereint werden. Dieses Ereignis überschreitet alle menschliche Phantasie, Vorstellungskraft und Logik. Gott ist Mensch geworden „durch den Heiligen Geist von der Jungfrau Maria“ wie wir es im Glaubensbekenntnis von Nizäa und Konstantinopel bekennen.1
In Seiner Geburt vereint unser Erlöser Jesus Christus die Demut und Gemeinschaft in ihrer reinsten und höchsten Form. Die Demut, weil der erhabene Gott Mensch geworden ist. Der Höchste hat sich selbst erniedrigt und hat die menschliche Gestalt angenommen, um somit die gesamte Menschheit in Raum und Zeit zu retten. Auf diese Weise hat Er den Weg der Gemeinschaft der Menschen mit Gott weit aufgetan. Mit Seiner Geburt hat Christus das umfassende soteriologische Ereignis eingeleitet, welches am Kreuz und in der Auferstehung seine Erfüllung findet.2
In diesem Zusammenhang ist es kein Zufall, dass die Orthodoxe Ikonographie die Geburt Christi, Sein Tod am Kreuz und Seine Auferstehung auf eindrückliche und sichtbare Weise miteinander verbindet. Durch eine genauere Betrachtung der Weihnachtsikone, kann man feststellen, dass die Geburtshöhle oft auf gleiche Weise dargestellt wird wie die Grabeshöhle auf der Osterikone. Die Krippe ist ebenso eine Vorwegnahme des Grabes. Die Windeln sind Vorausbild der Leichentücher Christ. Somit sind die Höhle, Krippe und Windeln sprechende Zeichen der Kenose Christi, der Entäußerung der Gottheit, Seiner Herablassung und Seiner äußersten Demut. Durch die symbolische Darstellung der Orthodoxen Ikone werden also Weihnachten und Ostern verbunden. Auf diese Weise werden beide Ereignisse in Beziehung zu einander gesetzt und werden somit untrennbar miteinander verbunden.3
Außerdem kommt hier noch eine existenzielle anthropologische Bedeutung hinzu. Für uns alle gilt, dass wir bei unserer Geburt den Tod in uns tragen. Die Geburt als Anfang unseres Lebens ist letztendlich nichts anderes als der Anfang eines Weges der zum Tod führt.
Daher ist die Weihnachtsikone, welche in sich diese ganze Grabesthematik trägt, nicht unabhängig von der Osterikone zu lesen. Durch Seine Auferstehung hat Christus das Grab aufgesprengt und den Menschen, der schon von seiner Geburt an darin liegt, erlöst. Der Tod ist nicht mehr das letzte Ziel des menschlichen Daseins, sondern das Leben.
Somit ist die christliche Perspektive eine Perspektive der Hoffnung. Das Kennzeichen der Hoffnung ist tief in der Theologie und Anthropologie der Orthodoxen Kirche eingeschrieben. Hierbei handelt es sich um einen christlichen Humanismus, in seinem eigentlichen Sinn. In diesem Humanismus, wird der Mensch nicht in seinem eigenen und individualistischen Sein eingesperrt, sondern öffnet ihn vielmehr in Raum und Zeit. Die Menschen vernehmen die Einladung Gottes, ihre begrenzte irdische Zeit zu überschreiten und teilzunehmen an der Auferstehung Jesu Christi. Auf diese Weise werden die Menschen zu Personen und Trägern der Hoffnung.
Die Weihnachtsikone bringt genau diese Hoffnung mit sich. Der Mensch soll nicht nur am Ende seines Lebens an dieser Hoffnung teilhaben, sondern von der Stunde seiner Geburt an. Auf diese Weise betrachtet, ist die grundlegende Eigenschaft eines Christen, dieser Hoffnung in seinem Leben sichtbaren Ausdruck zu verleihen.
Durch die Weihnachtsikone wird uns auch die Geburt unseres Heilands vermittelt, Der nicht in Glanz und Glorie zu uns kommt, sondern in Demut. Unser Heiland kommt nicht wie ein König und Herrscher, sondern wie ein Bettler und Sklave. Er kommt nicht wie ein Gott, sondern als einfacher Mensch und wird somit zu absoluten, nicht mehr zu übertreffenden Vor- und Abbild der Kenose (griech. κένωσις), der Entäußerung.4 Christus zeigt uns auf diese Weise, dass nicht das hochmütige Aufsteigen, sondern das sich erniedrigende Absteigen zum eigentlichen Sein der Vergöttlichung gehört. In seiner Demut wird der Mensch gnadenhaft vergöttlicht, da er die demütige Liebe unseres Heilands nachahmt.5
Diese ikonographische Darstellung der Geburt unseres Heilands, in welcher Er als ein einfacher Mensch in einer Höhle, wo das Vieh gehalten wird, geboren wird, bekommt auch in den verschiedenen Volkstraditionen seinen Ausdruck. So gibt es zum Beispiel in Griechenland die Tradition des Christoxylo (Weihnachtsholz), welches am Heiligabend aus dem schönsten und stärksten Stück Holz, meist Kiefer oder Olivenbaum, in Haus getragen wird. Das Christoxylo soll von Weihnachten bis Epiphanie brennen, da es nach volkstümlichem Glauben das Christuskind in dieser Zeit wärmen soll. In Serbien wird z. B. Heu in der Kirche ausgelegt, damit die Kirche symbolisch zur Höhle zu Bethlehem wird. Durch diese Volkstraditionen wird deutlich, dass auch im Bewusstsein des Volkes die Geburt unseres Heilands nicht in Pracht und Herrlichkeit geschieht, sondern in Demut.
Neben der theologischen und ikonographischen Betrachtung der Geburt Christi, wird in der Orthodoxen Tradition dieses große Herrenfest auch mit viel Freude erwartet. So gibt es auch in der Orthodoxen Tradition Weihnachtlieder, welche von den Kindern in Erwartung an Weihnachten gesungen werden. In Griechenland z.B. gehen die Kinder von Haus zu Haus und singen die traditionellen Weihnachtslieder, die Kalanda genannt werden. In Rumänien werden an Heilig Abend in der Kirche Weihnachtslider von Kindern und vom Chor gesungen.
Priester Dipl.Theol. Goran Ostojić
