Offen sein für die Aufmerksamkeiten Gottes
Ich möchte – als Anregung zum Hineinschauen ins eigene Leben – einfach ein paar Erfahrungen erzählen, die für mich Hoffnungslichter waren und sind:
Kurz nach meinem 40. Geburtstag entdeckte ich einen harten Knoten in meiner Brust, ich ging zum Arzt. Er wollte, dass ich auf der Stelle ins Krankenhaus gehe, und ich rief gleich dort an. Termin: nächster Tag 8.00 Uhr. Wie gewohnt, meditierte ich in der Früh, das heißt, ich plagte mich mit einer Bibelstelle, weil ich die meiste Zeit beim Brustkrebs war, der mir möglicherweise bevorstand. Auf einmal war eine ganz andere Bibelstelle da: die Jünger, die sich im Finstern am See Genezareth mit dem Rudern abmühen und auf einmal Jesus sehen, der übers Wasser geht. Sie schrien vor Angst, so steht es im Text, meinten sie doch, dass da ein Gespenst auf sie zukommt. Im nächsten Augenblick hören sie die vertraute Stimme Jesu: Ich bin es! Fürchtet euch nicht!
Und in diesem Augenblick fiel auch von mir alle Last ab: Auch wenn der Brustkrebs wie ein riesiges Gespenst daherkommt, so sagt Jesus: Fürchte dich nicht, ich bin es! Ich bin die Liebe und ich habe dein Leben in meiner Hand. Mit großer Gelassenheit konnte ich in die Operation gehen, das Befürchtete trat ein – aber immer wieder stärkte mich das „Fürchte dich nicht – ich bin da!“ Jesu. Ich wurde gesund!
Geschenk auf Zeit …
12 Jahre später traten allerdings Lungenmetastasten auf. Nicht leicht zu verdauen! Ich musste durch mehrere Zyklen Chemos; es ging mir zunehmend schlechter – am Heiligen Abend so richtig sauschlecht. Dabei liebe ich diesen Abend – auch weil wir ihn in meiner Schwesterngemeinschaft so schön feiern: innerlich dem Geheimnis nachspüren und dann ganz fröhlich und gut miteinander essen.
An diesem Abend hatte ich also wirklich an nichts Freude. Der Tisch war schon festlich gedeckt. Da sagte eine junge Mitschwester zu mir ganz freudig: „Hast du schon gesehen, was an deinem Platz liegt?“ Hatte ich nicht! Aber in diesem Augenblick fiel mir wieder ein, dass uns Schwester Rosa, unsere Oberin, am ersten Adventsonntag Zettel mit Nummern hatte ziehen lassen, die sich auf ein Buch von Anselm Grün „50 Engel“ bezogen. Ich hatte das nicht so ernst genommen wie manche Mitschwestern, sondern einfach den erstbesten Zettel gewählt – und dann darauf vergessen. In meinem Tief dachte ich jetzt: Was wird es schon sein, vielleicht ein Engel des Trostes – ich mag das jetzt alles nicht. Das Einzige, was ich wirklich bräuchte, wäre Heilung.
Wir beteten und feierten und als ich dann zum Essen an meinen Platz kam, war er da: der Engel der Heilung! Es haute mich fast um! Und diese Aufmerksamkeit Gottes fiel mir immer wieder ein in der Dunkelheit der Tunnels und Täler, die ich noch mehrere Jahre zu bewältigen hatte.
Meistens sind es liebe Menschen, die uns in schweren Zeiten besonders helfen. © Marienschwestern / Sr. Anna Pointinger
Gott wirkt durch Menschen
Meistens sind es liebe Menschen, die uns in schweren Zeiten besonders helfen: An meinem Geburtstag während einer Chemo schickte mir eine Klasse unserer Schule in Erla, in der ich unterrichtete, von der Früh bis am Abend SMS mit Glückwünschen. Mir wurde dabei so froh ums Herz, dass ich für diesen Tag die unangenehmen Nebenwirkungen der Behandlung völlig vergaß, ja am Abend schnell und tief einschlief.
Warum ich das alles erzähle?
Weil ich erfahren habe, dass es IMMER Schweres und Schönes gleichzeitig gibt und es in schweren Zeiten wesentlich ist, sich nicht vom Schweren total vereinnahmen zu lassen. Es geht um die Aufmerksamkeit, die Blüten am Wegrand, die kleinen Wunder, die Hoffnungslichter, die dort und da aufstrahlen, wahrzunehmen. Was ist schon selbstverständlich in unserem Leben? Bei all meinen Erfahrungen könnte man auch sagen: Solche Zufälle gibt es halt – und dann gleich wieder im eigenen Sumpf versinken. Die Fähigkeit, dieses Zu-ge-fallene als kleine Aufmerksamkeit, als Geschenk Gottes wahrzunehmen macht jedoch zutiefst froh und glücklich! Und selbstverständlich begleitet uns Gott in guten Zeiten genauso liebevoll und aufmerksam …
Herzliche Einladung
Schauen Sie zurück in Ihrem Leben! Ich bin felsenfest davon überzeugt, da gab es ähnliche Erfahrungen! Schauen Sie auf die Gegenwart: Was gibt es neben all dem Schweren, Schwierigen, das wir keineswegs zu leugnen brauchen, an Schönem, Gutem, an berührender Hilfsbereitschaft, Begegnungen über die Straße hinweg, freundlichem Grüßen – um nur ein paar Möglichkeiten zu nennen …
Öffnen wir Augen und Ohren und vor allem das Herz! Vielleicht spüren wir irgendwann sogar ein stilles Wachsen von etwas Neuem, Positivem, von Veränderung, Verwandlung, sodass wir eines Tages staunend sagen dürfen: Oh, das war der Sinn von Corona!
Schwester Huberta Rohrmoser
Marienschwester vom Karmel, Meditations- und Exerzitienbegleiterin, Geistliche Begleiterin