Weniger reden
In der Schule hatte ich einen blinden Mitschüler. Wir haben damals gelernt, dass man, wenn ein Sinn ausgeschaltet ist, mit den anderen viel besser wahrnimmt. Unser Mitschüler konnte zum Beispiel wahnsinnig gut Vogelstimmen erkennen und imitieren. Mich hat das immer fasziniert.
Wer mich kennt, weiß, dass ich sehr gern rede und den Mund offen habe. Ich weiß schon, reden ist kein Sinn, aber für mich waren die letzten Wochen, in denen social distancing ergo weniger reden am Tagesprogramm stand, so als könnte ich auf einmal meine Umgebung besser wahrnehmen. Die Veränderungen in der Natur, die der Frühling natürlicherweise mit sich bringt. Die Bewegungen im Wohnhaus – man lernt in solchen Zeiten seine Nachbar*innen besser kennen (mein kleiner Nachbar z.B. übt seit Beginn der Krise jeden Tag „Mein kleiner grüner Kaktus“ auf Klavier und man merkt deutliche Fortschritte). Man entwickelt neue Gewohnheiten und entdeckt Fertigkeiten - nach mehreren Versuchen weiß ich jetzt auch, dass Germ warmes Wasser und Zucker braucht, damit er geht und daraus ein Brot entstehen kann. Mein kleiner Balkongarten, der sich durch die neue Aufmerksamkeit prächtig entwickelt und wirklich mit dem grünen Daumen meines Vaters konkurrieren kann (auch wenn er das jetzt nicht gerne lesen wird).
Es kommt mir vor, wie damals bei den Schweigeexerzitien im zweiten Semester meines Studiums – keiner meiner Kommiliton*innen glaubte mir davor, dass ich das schaffen würde. Ich hab´s geschafft und es war eine gute Erfahrung! Eines meiner Highlights damals war es, beim Spazierengehen einer Maus beim Knabbern einer Nuss zuzusehen. Wäre ich nicht schweigend dort gewesen, hätte sie sich vermutlich nicht aus ihrem Versteck getraut.
Ich weiß natürlich, dass ich in einer besonderen Situation bin, dass ich keine Familie zu versorgen habe, mich nicht um meine Existenz sorgen muss, keine Kranken in meinem Umfeld habe und ich bei meiner Arbeit nicht meine Gesundheit riskiere…und gerade deshalb möchte ich diese Erfahrungen, die ich durch diese geschenkte „Exerzitienzeit“ machen kann, sammeln, damit ich sie dann teilen und weitergeben kann.
Erkenntnisse:
Ich kann Brot backen. Und es schmeckt.
Salatpflänzchen mögen es nicht, wenn sie von großen Radieschen-Blättern zugewachsen werden.
Aufräumen und Aussortieren tut gut.
Ich hab eigentlich echt eine feine Umgebung zum Spazierengehen.
Es ist schön, wenn man Pakete und Briefe bekommt und der Postbote ist ein netter Kerl.
Steuerausgleich geht gar nicht so schwer.
In Österreich gibt’s wirklich sehr schöne Plätze, wo man statt dem stornierten Urlaub hinfahren kann.
Ein Bier übern Zaun (mit Abstand) mit den Nachbarn kann ein Highlight des Tages sein.
Ich kann auch allein sein.
Aber ich brauch nach ein paar Tagen ganz unbedingt die Menschen in meinem Umfeld, um mich wohl zu fühlen.
Stefanie Brandstetter ist Seelsorgerin an der Privaten Pädagogischen Hochschule der Diözese Linz