Komm Tröster Geist
In den letzten Wochen hat sich der Alltag von den meisten radikal verändert. Arbeit, Freizeit, Kultur, Wirtschaft, Mobilität, Kommunikation, Begegnungen sind nicht mehr so wie am Beginn der Fastenzeit. Es wurde mir bewusst, wie verletzlich, fragil und zerbrechlich mein eigener Körper, aber auch unser gesamtes gesellschaftliches System ist. Mein Körper ist keine gegen Viren immune Festung. Kein Mensch, aber auch kein Land kann sich absolut sicher fühlen.
Wissenschaft und Glaube
Wir sind gerade in diesen Zeiten dankbar für die Forschungen und Erkenntnisse der Wissenschaft. Eine Überwindung der Coronakrise wird es nur mit Hilfe der Wissenschaft geben. Einsicht und wissenschaftliche Erkenntnis gehören zu den Gaben des Heiligen Geistes. Es wäre ein Erweis des Unglaubens, Wissenschaft gegen den Glauben auszuspielen. Es hat sich aber auch gezeigt, dass die Datenevidenzen allein noch keine Sicherheit und Gewissheit sowie schon gar keine Überwindung des Virus erzeugen, sondern in Bezug zum Gemeinwohl und zu Grundwerten der Person und der Gesellschaft gesetzt werden müssen. Neben und mit der Wissenschaft ist die Bedeutung politischer und ethischer Entscheidungen überdeutlich geworden. Und so braucht die wissenschaftliche Erkenntnis die Geistesgaben der Weisheit und des Rates, damit Entwicklungen in gute Bahnen gelenkt werden können.
Trost
Aufklärung und Wissenschaften haben, so Jürgen Habermas, eines nicht vermocht: „das Bedürfnis nach Trost sei es zu stillen oder zum Vergessen zu bringen.“ Viele Pfingstlieder besingen den Heiligen Geist als Tröster, als Lebensspender, als Ermutiger, als den, der mit Kraft in der Müdigkeit erfüllt. Trost, das ist gerade nicht Vertröstung. Trost, das ist für mich die Kraft der Hoffnung. Diese Zeiten sind eine Herausforderung, mein psycho-soziales Immunsystem gegenüber feindlichen Viren zu stärken. Geradezu tödliche Viren dieser Art sind z.B. Hass, Verachtung, Feindbilder oder auch verantwortungslose Gleichgültigkeit, und diese schleichen sich oft unbewusst ein. Was macht demgegenüber „resilienzfähig“ oder was macht unser Leben im guten Sinn robuster? Krisen wie Corona sind eine Herausforderung, eine gute Verankerung zu suchen, wieder einmal am Fundament des eigenen Lebens zu arbeiten. Für mich ist es die Kraft der Kontemplation und des Gebetes, die Kraftquelle der Freundschaft und der Gemeinschaft, und auch die Kraft der Schönheit und der Freude.
Wie ein gutes Krankenhaus
Welche Herausforderung stellt diese Situation für das Christentum, für die Kirche – also einen der ersten „Global Player“ – dar? So fragt Tomas Halik. Die Kirche soll wie ein gutes Krankenhaus diese Aufgaben erfüllen: Mittels Diagnose „die Zeichen der Zeit“ zu erkennen, mittels Prävention Gesellschaften, in denen sich die bösartigen Viren der Angst, des Hasses, der Verachtung und der Gleichgültigkeit verbreiten, zu immunisieren und mittels Rekonvaleszenz durch die Vergebung, die Traumata der Vergangenheit aufzulösen.
Bischof Dr. Manfred Scheuer