Vagabunden der Sehnsucht und der Hoffnung
Ich erlebe und sehe Menschen, die kein Zuhause, keine Wohnung, kein Geld und eigentlich kaum Platz in dieser Welt – oder konkret in dieser Stadt Linz haben. Diese Corona-Krise verstärkt bei einigen ihre – auch seelische – Not, weil sie kaum und manchmal wirklich keinen Rückzugsraum haben. Wir alle in der sozialen Szene tätigen Menschen kümmern uns aber dennoch trotz Einschränkungen (Öffnungszeiten, Einschränkungen im persönlichen Kontakt, Antreffbarkeit…) um diese besonderen Menschen, damit sie genug zum Essen, zum Schlafen, Zugang zu Kleidern oder medizinischer Versorgung haben. Wir helfen hier gut zusammen. Ich bin in dieser herausfordernden Zeit dennoch unterwegs und erlebe mich grundsätzlich als Vagabundierender, weil ich selbst keinen Ort oder Schutzraum anbieten kann – nur mich selbst als Zuhörender und Aufmerksamkeit schenkender.
Paulus – ein unerschrockener Vagabund und Gottsucher
Der Apostel Paulus ist für mich auch ein Wanderer zwischen den Welten, ein Vagabund (katholisch wird er ja fast nur als Missionar gesehen – das war er auch, aber er war viel mehr). Mit ihm ringe ich am meisten und am liebsten – Paulus wirkt manchmal überheblich, ist maßlos von sich und seiner Überzeugung und einzigartigen Christuserfahrung überzeugt. Seine Leidenschaft brennt für Jesus, für sein Evangelium und er bleibt dennoch ein Suchender und manchmal ist er auch bzw. verhält er sich wie ein Narr Christi. Er schreibt kraftvolle Briefe, seine theologischen Reflexionen und Einstreuungen geben mir immer noch zu DENKEN auf und manchmal findet er Worte und Sprachbilder, die mich einfach nur trösten, Kraft und Halt geben.
Paulus schreibt im Römerbrief (Brief an die Gemeinde von Rom): Röm 8,38-39
38 Denn ich bin gewiss: Weder Tod noch Leben, weder Engel noch Mächte, weder Gegenwärtiges noch Zukünftiges noch Gewalten,
39 weder Höhe oder Tiefe noch irgendeine andere Kreatur können uns scheiden von der Liebe Gottes, die in Christus Jesus ist, unserem Herrn.
Ich lebe mein Christsein schon lange aus dieser Zusage, aus diesem Zuspruch, den Paulus uns in diesem Brief schenkt. Gerade in dieser Krisenzeit trägt mich diese Zusage und ich versuche, diese Zusage zu leben. Keine Macht, keine Seuche, kein Virus und letztlich kein Mensch können uns scheiden von der bedingungslosen Liebe Gottes, die in Christus sichtbar, spürbar und erfahrbar ist.
Vagabundierendes Leben
Spirituell bedeutet das für mich, dass ich im vagabundierenden Paulus einen starken und unerschrockenen Begleiter auf meinen pastoralen Wegen und der aufsuchenden Arbeit in den Einrichtungen und auch Parks habe. Und meine liebgewordenen Freunde und Freundinnen, denen ich begegne, schenken mir oft neue Blickwinkel auf unsere Welt und Gesellschaft. Sie sind zwar nicht freiwillig vagabundierend unterwegs, aber sie haben oft erstaunliche Überlebensstrategien entwickelt. Sie machen sich Sorgen in dieser Corona-Krise. Dennoch haben manche auch heitere Zuversicht. Keiner von diesen besonderen Menschen auf der Straße hat letztlich Angst vor dem Tod, weil sie eine Ahnung und Gespür davon haben, was Paulus im Römerbrief schreibt: Nichts, aber auch gar nichts kann uns scheiden von der Liebe Christi, mit der jedeR Mensch bedingungslos geliebt wird.
Helmut Eder ist Obdachlosensselsorger und Pfarrassistent in Linz-St. Severin