"Es ist anders geworden"
Unaufhörlich prasseln Informationen auf uns ein und beeinflussen unser Gefühlsleben, unseren Alltag, unser gewohntes Umfeld. Wir werden gerade jetzt in diesen Tagen ziemlich durchgeschüttelt und vieles, was uns Stabilität gegeben hat, ist weggebrochen. Es ist eine herausfordernde Zeit – für uns alle.
Kurz vor dem Eintreten der Maßnahmen, welche die Regierung gesetzt hat, bin ich noch mit lieben Freunden bei einem sehr gemütlichen Frühstück gesessen und keiner hätte sich gedacht, dass das eines der letzten Treffen sein würde und dass die weltweite Ausbreitung des Coronavirus zu solch einer Krise führen würde. Abrupt wurde unsere Gesellschaft in einen Slow-Modus gefahren und neue Begriffe wie „Social Distancing“, „Distance Learning" waren in aller Munde beziehungsweise Worte der Stunde. In Corona-Zeiten ist Abstand halten gefragt und wir sind aufgefordert, anderen Menschen als Schutz nicht zu nahe zu kommen.
Wir leben also in herausfordernden Zeiten: Es müssen geplante Vorhaben auf unbestimmte Zeit verschoben werden, Lösungen gesucht werden, die über aktuelle Problematiken hinweghelfen und das Ausbreiten des Virus eindämmen und gleichzeitig soll und muss eine Basis geschaffen werden, wie es „nach Corona“ weitergehen wird. Es fällt mir schwer, mich dem kollektiven Feld zu entziehen.
„Auch mein Leben und meine Arbeit haben sich verändert, es ist anders geworden“
Neben meiner Arbeit als Beauftragte für Jugendpastoral im Dekanat Weyer unterrichte ich als Religionslehrerin an der Volksschule in Losenstein. An meinen „Schultagen“ bin ich immer sehr gerne zur Arbeit gegangen, weil ich das fröhliche Kinderlachen, die Energie, welche die Kinder versprühen, das Temperament, … sehr geschätzt habe und es mich sehr beflügelt und beschwingt hat. Auch als Religionslehrerin profitiere ich oft von den tollen Gedanken und Ideen meiner SchülerInnen und nicht selten bringen sie mich auch zum Staunen und regen mich zum Weiterdenken ihrer Überlegungen an.
Von einem Tag auf den anderen ist das weggebrochen und es fehlt mir, sehr sogar. Ich kann nur erahnen, wie sich deshalb gerade alleinstehende und ältere Menschen, Risikogruppen, fühlen müssen. Für viele Menschen, die es normalerweise gewohnt sind, ständig unter Menschen zu sein, sind die Maßnahmen der Regierung eine wirklich große Herausforderung und Belastung. Der direkte Kontakt fehlt, es schmerzt, macht ein Stück weit einsam(er). Wir wissen, reden hilft und deshalb ist es auch unabdingbar, dass wir gerade auf diese Menschen nicht vergessen. Sorgen zu teilen, sich mitzuteilen hilft – denn man bekommt oft leichter wieder einen Funken Licht als alleine. Alleinstehende Menschen brauchen jetzt jemanden, wo sie ihre Sorgen aussprechen können, damit sie ihnen nicht zu groß und unbewältigbar erscheinen. Sie brauchen das Gefühl, zu wissen, dass auf sie nicht vergessen wird.
In der Jugendarbeit ist Kreativität gefragt
Der direkte Kontakt mit Jugendlichen ist wesentlicher Bestandteil meiner Arbeit und dieser ist weggebrochen. Sitzungen, Jugendstunden, Firmstunden, … dürfen nicht abgehalten werden und obwohl ich als Beauftragte für Jugendpastoral viel über Social Media kommuniziere, fehlen auch hier die persönlichen Begegnungen enorm. Im Jugenddekanatsteam mussten „Alternativen“ gesucht werden, wie wir trotzdem (oder noch mehr) in Verbindung sein können und es hat sich vieles aufgetan: Postkartenaktionen, Gruppentelefonate, Videobotschaften, Reli-Tabu „online spielen“, Gebetsimpulse aufs Handy, online Jugendstunden und vieles mehr. Es wurden viele kreative Formen, die dem Virus und seinen sozialen Folgen trotzen, gefunden. Dennoch ist klar, diese Aktionen sind nicht auf Dauer. Gerade in meinen Berufen ist es unabdingbar, „nah“ bei den Menschen zu sein und das ist auch mein Verständnis von Seelsorge. Mit meinem großen, sehr engagierten ehrenamtlichen Team sind wir untereinander bestens in Kontakt, aber in der heurigen Fastenzeit anders als sonst.
Wir wurden ausgebremst in den Vorbereitungen für unsere Auferstehungsfeier der Jugend, welche das Herzstück unserer Dekanatsarbeit ist. Seit fast 15 Jahren feiern wir diese mit hunderten jungen Menschen um 5 Uhr morgens! Heuer nicht. Das schmerzt uns alle sehr. Es wird ungewohnt sein, sich nicht bereits um halb zwei Uhr morgens zu den Vorbereitungen in der Kirche zu treffen, sondern heuer einmal daheim zu sein. Den Höhepunkt unseres Glaubens im familiären kleinen Kreis zu feiern, wird eine neue Erfahrung sein.
„Ich bin die einzige Person im Haus, die nicht zur Risikogruppe gehört“
Nachdem mein Mann organtransplantiert ist und auch meine Eltern nicht mehr zu den Jüngsten gehören, wohne ich in einem Risikohaus. Ja, ich bin die einzige Person im Haus, die nicht zur Risikogruppe gehört. Zugegeben, das stresst mich ein wenig, weil ich niemanden gefährden möchte und deshalb habe ich meine Sozialkontakte wirklich auf das absolute Minimum reduziert, wie auch meine Lebensmitteleinkäufe. Mein Ziel ist, nur noch alle 14 Tage einkaufen zu gehen, wohl überlegt mit Liste und Achtsamkeit. Ich merke, dass es guttut, Speisepläne zu schreiben und schon im Vorhinein zu wissen, was man kocht. Das entschleunigt mich.
Durch das Wegfallen von vielen Terminen (beruflich wie auch privat) habe ich jetzt mehr Zeit - geschenkte Zeit, für dich ich sehr dankbar bin: Zeit für das Lesen von Büchern, Zeit zum Kochen, Zeit zum Garteln, Zeit zum Musizieren, Zeit zum täglichen Spaziergang bei uns im Wald, Zeit, diverse Entspannungstechniken wieder einzuüben, Zeit zum Innehalten und voller Staunen die Natur zu betrachten. Die Liste könnte noch lange fortgesetzt werden. Während ich diese Zeilen schreibe wird mir bewusst, wie vieles in meinen Leben „nebenbei“ durchgeführt werden musste oder einfach „schnell, schnell“ erledigt wurde.
„Es ist wichtig für meine Gottesbeziehung“
Und noch was hat sich geändert: das erste Mal seit Jahren bin ich jeden Tag am Abend zu Hause – ein fast fremdes Gefühl, die Zeit nicht mit Abendterminen gefüllt zu haben. Es tut mir gut. Ich kann im Moment jeden Abend das Taizégebet von den Brüdern in Frankreich „online“ mitfeiern, was für mich ein besonderes Auftanken und Innehalten ist, weil ich ja auch regelmäßig nach Taizé fahre. Es ist wichtig für meine Gottesbeziehung. Ebenso sind die Onlinegottesdienste eine gute Option – das hätte ich so nicht erwartet, aber ich nehme mir dafür bewusst Zeit. Ich schätze die Vielfalt – ohne „weit fahren“ zu müssen, denn ein „Klick“ genügt. Aber: ich vermisse das gemütliche Zusammenstehen am Kirchenplatz nach dem Gottesdienst, die spontanen Gespräche oder das gemeinsame Essen mit den Jugendlichen nach dem Taizégebet.
Im Allgemeinen stelle ich (bei mir) fest, dass ich wieder mehr regelmäßige Gebetszeiten habe und mir diese eine sehr gute Struktur geben – hoffentlich kann ich diese Struktur, diesen Vorsatz auch nach der Pandemie weiterführen und verfalle nicht gleich wieder in alte Muster.
Ebenso habe ich in meinem Umkreis festgestellt, dass die Solidarität beträchtlich gestiegen ist und dass die Nachbarschaftshilfe gewährleistet ist, frei unter dem Motto: „Gemeinsam statt einsam!“
Die Corona-Krise beschert uns also im Jahr 2020 eine ganz besondere, noch nie dagewesene Fastenzeit mit der Möglichkeit, dass wir uns auch im Glauben wieder fester machen.
Ich nehme diesen Corona Virus als Chance, als geistliche Herausforderung für uns wahr, und glaube, dass es gut ist, Dinge im Außen wie auch im Inneren zu ordnen, weil das einen klärenden Effekt auf unser Leben hat. Die Zusage Gottes „Ich bin da“ gibt mir immer wieder Vertrauen, stärkt mich und kann auch tröstend wahrgenommen werden.
Anita Buchberger ist Beauftragte für Jugendpastoral im Dekanat Weyer, Betriebsrätin der Abteilung Pastorale Berufe und Religionslehrerin an der Volksschule Losenstein