Die wahren Helden sind die kleinen Leute
Der Dom ist schon mein ganzes Leben lang „meine Kirche“. Hier wurde ich getauft und bin ich groß geworden und hier wurde auch unsere Tochter Sara Anna im letzten Jahr getauft. Im Lauf der Zeit habe ich festgestellt, dass dieses Gebäude sehr stark polarisiert. Entweder die Menschen mögen diese Kirche, oder sie finden sie zu groß, zu kalt und zu finster. Ich selbst merke immer wieder, dass die Größe und auch die relative Dunkelheit wichtig sind, damit eine der größten Stärken dieses Raumes so richtig zur Geltung kommen kann. Und das sind die Fenster. Die Fenster des Domes leuchten dann am schönsten, wenn man an einem strahlenden Sonnentag in das Halbdunkel der Kirche eintaucht. Und sie erzählen Geschichten. Das sind Geschichten von Gott und den Menschen. Geschichten aus der Bibel genauso wie Geschichten der Menschen, die diesen Dom gebaut haben und die „Kirche“ sind. Und ich rede hier nicht nur von Bischöfen und weltlichen Herrschenden. Es sind hier Geschichten von Menschen aus dem ganzen Land zu finden.
Von diesem Platz aus kann ich zwei Fenster betrachten, die mir ihre ganz besondere Geschichte erzählen und die auch ein bisschen mit mir zu tun haben:
Im oberen Fensterkranz des Langschiffes sind verschiedene Wallfahrtsorte zu sehen. Auf dem dritten Fenster von links sehe ich ganz klein die Marienwallfahrtskirche zu Frauenstein vom Berg herunterwinken. Frauenstein ist der Schutzmantelmadonna gewidmet. Unterhalb der Kirche sieht man die Legende dargestellt, wie das kleine Muttergottesbild zur Zeit des Bildersturms den Flammen getrotzt haben soll.
Aber das Fenster hat auch etwas mit mir zu tun. In dem kleinen Dorf Frauenstein wurden mein Vater und meine Großeltern geboren. Das Fenster erinnert mich also immer an meine Wurzeln. Mein Opa und meine Oma waren in Frauenstein jahrzehntelang das Mesnerpaar, das sich um die Kirche gekümmert hat. Tiefgläubige Bauern die sie waren, war es ihnen selbstverständlich, ihren Beitrag in der Kirche zu leisten. Gleichzeitig war meine Großmutter auch eine kritische Frau, die nicht alles als gottgegeben hinnehmen wollte. Ich kann mich noch gut erinnern, wie die fast 80jährige Frau einmal zu mir sagte: „Warum sie die Pfarrer ned einfach heiraten lassen werd´ ich nie verstehen.“
Die zweite Geschichte erzählt mir das so genannte „Linzer Fenster“. Es zeigt einen Blick auf die Stadt mit dem Dom als wesentlichem Element der Skyline. Und es zeigt bekannte Persönlichkeiten die aus Linz kamen, oder einen wesentlichen Bezug zu Linz hatten. Heilige, Adlige, Künstler, Politiker, und Wissenschaftler sind hier abgebildet. Hauptsächlich Männer. Wichtige und einflussreiche Menschen aus der Geschichte. Aber sie sind es nicht die mich an diesem Fenster faszinieren. Ich fand immer schon die Szene im unteren Bereich spannender. Schon als Kind habe ich es lustig gefunden, dass hier quasi das älteste Werbeplakat von Linz zu sehen ist. Das Fenster wurde nämlich vor gut hundert Jahren von der Allgemeinen Sparkasse gestiftet. Und das Gebäude, vor dessen Fassade offenbar gerade ein Wochenmarkt stattfindet, ist die Zentrale der Bank auf der Promenade in Linz.
Diese einfachen Linzerinnen und Linzer auf dem Markt sind der eigentliche Grund warum mir das Fenster so gefällt. Die wichtigen Menschen oben sind ja recht und schön. Aber die eigentlichen Helden sind die kleinen Leute. Bischof Rudigier selbst hätte die Finanzierung dieser großartigen Kirche niemals allein bewältigen können. Der Dom ist aus Spenden entstanden. Aus Großspenden, wie jener der Sparkasse. Aber vor allem auch aus vielen kleinen Spenden. Marktfrauen, Fabrikarbeiter, Bäuerinnen und Lehrlinge haben mit kleinen Einzelspenden einen finanziellen Beitrag zur Errichtung „ihrer Diözesankirche“ geleistet. Meine Urgroßmutter zum Beispiel war immer sehr stolz darauf als junge Küchenmagd mit geringem Lohn ihren Baustein an dieser Kathedrale beigesteuert zu haben. Und heute bin ich es – sind wir es – die unseren Beitrag leisten können. Für die Neugestaltung des Altarraumes und für die Erhaltung des Domes. Weil er nicht die Kirche von einigen wenigen mächtigen Männern ist. Er ist unsere Kirche. Die Kirche der Frauen, Männer und Kinder von Oberösterreich.