Was an Gutem wächst
Mein Handy läutet. Ingrid ruft an, sie hat eine Idee: immer Mittwoch abends gab es doch ein Meditationsangebot in der Pfarre, sie möchte diesen Mittwoch Abend um die gleiche Uhrzeit wie sonst auch immer zu Hause meditieren – und sie ruft gerade die Leute durch, die sonst auch oft dabei waren. Und auch mich, mit der Frage, ob ich mich um diese Zeit „dazu“ setzen möchte. Ja, sehr gern. Eine stille Freude breitet sich in mir aus.
Ja, das ist Kirche wie ich sie ersehne: getaufte Frauen und Männer, die sich zusammen tun und Raum finden für das, was ihre Gottverbundenheit und Kraft stärkt und das auch so organisieren, dass niemand vergessen wird. „Pling“, am Mittwochnachmittag kommt eine nette Erinnerungsnachricht von Margarete, die diesen Teil der Kommunikation übernommen hat. Und seitdem sitzen wir miteinander verbunden eine halbe Stunde jeden Mittwoch um 19 Uhr.
Hauskirche
Was mir in diesen Tagen viel Mut macht, sind die verschiedensten Menschen, die nun am Sonntag daheim „ihre“ Hauskirche entwickeln in bester Tradition der Urkirche (vgl. Apg 2,42ff): Einen Ort in der Wohnung finden. Eine Kerze anzünden. Vielleicht in einer Bibel die Sonntagstexte suchen. Impulse aus der eigenen Pfarrgemeinde lesen. Beten für andere Menschen. Ein Lied singen. Um Segen bitten. Heiliges in den eigenen vier Wänden. Alleine oder mit den gemeinsam Wohnenden. Da wächst Kirche, eigenverantwortlich, selbstermächtigt, kreativ und bunt.
Auch bei mir zu Hause gibt es nun Hauskirche. Es ist ungewohnt – doch da entsteht etwas Wunderbares. Wenn eine Familie miteinander eine passende Sprache sucht und darüber spricht, welches Licht das Evangelium auf die heutige Situation wirft – und welche Farbe, das was wir gerade erleben, dem Evangelium gibt. Auf einmal taucht das Gebet aus der privaten Intimität von Einzelpersonen auf und verbindet sich. Und Familienmitglieder legen sich mit den Sorgen und Anliegen, Unsicherheiten und Ängsten, dem unsäglichen Leid und der Traurigkeit über die vielen Toten im Gebet in die Gegenwart Gottes. Manchmal anklagend und wütend, manchmal vertrauensvoll und zuversichtlich. Alles, was ist, darf sein. Auch unser Lachen über die Unbeholfenheit unserer Hauskirche-Versuche. Wir bleiben dran.
Lernen von anderen
Was mich sorgt: wie werden wir die viele Zeit in den eigenen vier Wänden gut aushalten, besonders Menschen, die allein leben? Derzeit sind viele Tipps zu lesen von PsychologInnen, für die ich sehr dankbar bin. Aber da gibt es doch noch andere „Expertinnen und Experten“, die sehr viel Erfahrung haben! Ich denke an die Menschen, die oft schon sehr lange Zeit zu Hause verbringen, weil sie nicht mehr mobil sind, weil sie sich schützen wollen, weil sie allein und zurückgezogen leben. Ich muss morgen gleich Karla anrufen, um von ihr zu lernen.
Verbundenheit im Distanzhalten
Das Miteinander wächst, Rücksichtnahme und Solidarität. Da gibt es die ältere Nachbarin, die nun endlich doch das Angebot annimmt, dass mein Mann für sie einkaufen geht. Sie kann es fast nicht fassen, dass jemand das für sie tut. Die Menschen, die mir beim Spaziergang begegnen, halten Abstand und, was in der Stadt sonst nicht so üblich ist, lächeln mir zu und grüßen freundlich. Verbundenheit ist sogar im Distanzhalten zu spüren.