Die Dekrete über die katholischen Ostkirchen und über den Ökumenismus
Das Christentum entwickelte sich in den ersten Jahrhunderten in den verschiedenen Regionen sehr unterschiedlich. Vor allem zwei große "Richtungen" bildeten sich heraus: Die lateinische Kirche im Westen mit Rom als Zentrum und im Osten die griechische Kirche mit ihrem Mittelpunkt Konstantinopel (Istanbul). Unterschiedliche theologische Lehrmeinungen und Machtansprüche führten schließlich 1054 zur Kirchenspaltung zwischen der katholischen und den orthodoxen Kirchen.
Das Dekret über die katholischen Ostkirchen
Danach kam es im Osten wiederum zu Abspaltungen, die zwar in der ostkirchlichen Tradition leben, aber Rom unterstehen. Dies sind die "katholischen Ostkirchen" (heute ca. 10 Mio. Christen), die im vorliegenden Dokument angesprochen werden. Es drückt eine große Wertschätzung ihrer Traditionen aus und ermutigt sie, diese zu bewahren. Außerdem regelt es die Sakramentengemeinschaft mit den Orthodoxen Kirchen.
Das Dekret über den Ökumenismus
ist von ungleich größerer Bedeutung, denn es stellt die Haltung der kath. Kirche zu allen anderen Kirchen auf völlig neue Beine. Die Tragweite kann man sich nur vorstellen, wenn man die frühere Linie der Kath. Kirche bedenkt: Bisher hatte es geheißen "außerhalb der Kirche kein Heil", und "die Kirche" war natürlich die römisch-katholische Kirche. Katholiken war es strengstens untersagt, eine evangelische Kirche auch nur zu betreten. Ökumene, also das Bemühen um Einheit der Christen, war nur vorstellbar als "Rückkehr" der anderen Kirchen in die kath. Kirche unter dem Papst.
Die theologische Fachsprache wirkt teilweise abstrakt und veraltet, wenn z. B. die Kirchen als "Hilfsmittel des Heils" bezeichnet werden. Dennoch bringt das Ökumenismus-Dekret eine große Öffnung aus der Einigelung in die eigenen Wände. Es würdigt nun die ökumenischen Bemühungen um Einheit der Kirchen und anerkennt die nicht-katholischen "Kirchen und kirchlichen Gemeinschaften" als "Heilsmittel" des Hl. Geistes. Sie gesteht auch eigene Schuld für Spaltungen ein und bittet um Verzeihung für die "Sünden gegen die Einheit" seitens der kath. Kirche. Das Dokument beschreibt keinen konkreten Weg zur Einheit, aber es mahnt "alle katholischen Gläubigen" (!) zur Förderung der Ökumene und motiviert zum gemeinsamen Gebet und zur Zusammenarbeit. Es regt an, dass die Theologie aus ökumenisch geprägtem Blickwinkel gelehrt werden muss.
Eine wichtige Aussage des Dekretes ist, dass es eine "Rangordnung oder Hierarchie der Wahrheiten innerhalb der katholischen Lehre gibt"; d.h. manche Aussagen in der kath. Lehre sind wichtiger, andere weniger wichtig. Man kann also davon ausgehen, dass vor allem in den zentralen Aussagen Einheit angestrebt werden soll. Die kath. Kirche in diesem Konzilsdokument zwar ihre Vorrangstellung als einziger Weg zur "Fülle des Heils" behauptet. Aber dieses Dokument hat erstmals die anderen Konfessionen anerkannt und einen Platz gegeben und dadurch die kath. Kirche erst "dialogfähig" gemacht.
Martin Brait