Chronik der Pfarre Mühlheim d. Jahres 1946
1946
Ein neues Buch, ein neues Jahr, eine neue
Zeit! Eine neue Kirchenzeit ist angebrochen.
Nach der der großen Umwälzung durch den Natio-
nalssozialismus und der Katastrophe des 2.
Weltkrieges ist auch die Lage der Kirche eine
völlig geänderte als wie vor dem Jahr 1938.
Wir haben zwar unser altes Vaterland Öster-
reich wieder, allein die Stellung der Kirche
im öffentlichen Leben wird eine andere
sein. Die Trennung von Kirche und Staat,
die der Nationalsozialismus gewalttätig
durchgeführt, wird unter zwar milderen Form-
men, aber doch prinzipiell bleiben. Dazu
kommt, dass sich die Kirche gegenwärtig vom
politischen Leben distanziert hat.
Die Kirche hat sich auf die Reichsgottes-
idee bezogen: „Mein Reich ist nicht von
dieser Welt.“ (Johannes 18. 36). Die Kirche will
sich der Sorge um das Heil der Seelen
allein widmen. Unter diesem Aspekt
wird auch das kirchliche Leben in Mühl-
heim stehen.
Die Reichgottes-Idee muss auch im Dorf verkündet
werden. Als ich am Neujahrstag in der Predigt sagte,
die Kirche Gottes kennen keine Ausländer, waren die
Flüchtlinge dafür sehr dankbar. Es wird auch ein
Beichtunterricht für Flüchtlingskinder erteilt.
Sie gehören jar zur Gottesfamilie der Kirche.
Ein dringendes Bedürfnis unserer Zeit ist die
Karitas. Ich habe dafür in der Mette
eine Sammlung für die Ortskaritas eingeführt.
Dieselbe brachte bei der Weihnachtsmette, die
massenhaft besucht war, das ansehnliche Er-
gebnis von 100 Schilling ein.
In der Pfarre Mühlheim befinden sich ge-
genwärtig, März, 500 Pfarrlinge und 385
Flüchtlinge. Ich vergönne gewiß den armen
Flüchtlingen den Aufenthalt in Mühlheim, al-
lein im Verhältnis zu den Einheimischen sind
der Flüchtlinge viel zu viele. In anderen
Orten sind weniger Fremde. Das kommt davon
her, weil eben Mühlheimer ein Flüchtlingslager
(Schloss) besitzt. Auch seelsorglich sind die vie-
len Flüchtlinge eine Obligation. Unter den gegen-
wärtigen Flüchtlingen herrscht zwar im allgei-
nen nicht viel Eifer, aber man ist denselben als
Seelsorger doch verpflichtet. Ich gebe z. B. jetzt Flücht-
lingskindern eigens Beicht- u. Kommunionunterricht.
Seit Anfang Jänner bis anfangs Mai weilte
in Mühlheim P. Juvenal Schmid, Kapuzi-
ner-Quardian von Wiener-Neustadt zur
Erholung. Derselbe hatte bei der wiederholten
Bombardierung von Wiener-Neudstadt und
der folgende Eroberung durch die Russen
viel mitgemacht. Er war gesundheitlich sehr
herabgekommen und hat sich dann in
seinem Heimatsort einiger Maßen erholt.
P. Juvenal halt in der Seelsorge gerne mit.
Wir hatten an Sonntagen eine Frühmesse.
Es hat sich aber damals gezeigt, dass eine
ständige Frühmesse in Mühlheim nicht prak-
tisch wäre. Beim Pfarrgottesdienste wurden
die Leute immer weniger, sodass derselbe
ganz schüttern besucht war. Es zeigt sich, daß
die Pfarre für zwei Gottesdienste doch zu klein sei.
P. Juvenal war mir ein lieber, priesterli-
cher Freund, dessen Abreise ich persönlich be-
bedauere.
Am 8. Mai machten wir wieder nach 7 Jahren
eine Wallfahrt nach M. Schmolln. Es beteiligten
sich 70 Personen, darunter auch Heimkehrer. Man
merkte etwas vond em religiösen Zuge des Volkes
nach dem Kriege. 1939 hatten sich nur 34 Personen
beteiligt. (Visitationszeichen 27. 6. 46. Dietrich, Dechant v. Altheim)
Am 1. Juli erhielt Mühlheim sein eig-
nes Standesamt. Es ist auch für das
Pfarramt praktischer, daß nun unser
Mühlheim eine eigenes Standesamt hat.
Früher mußte man sich immer nach Gein-
berg wenden.
Im Monat August gingen etwa 70 Volks-
deutsche aus Jugoslawien in das Reich
ab mit unbestimten Ziel. Es sind arme,
heimatlose Menschen. Nach Hause dürfen sie
nicht mehr. Ihre Zukunft ist unbestimmt.
„Die heutige Zeit“ sagt der Hl. Vater, gleicht
einer reißenden Strom, auf denen die
Menschen wie Treibholz daherschwimmen,
um wieder in Dunkel und und Ungewiß-
heit zu versinken.“ Leider haben die
Mehrzahl unserer Leute dafür sehr wenig
Verständnis und Mitleid.
Das Privilegium des Portiunkula-Ablasses
wurde lt. Mitteilung des bisch. Ordinariates
(Zl. 5776, 20. 9. 46) ad septemicum ?von
der Poenitentiarie-Rom erstreckt. Falls der
2. August nicht selbst ein Sonntag ist, kann auch der
folgende Sonntag als Ablaßtag festgesetzt werden. -
Am 8. November gingen 100 Flüchtlinge nach
Ebensee (Lager Steinkogel) ab. Es waren diese Volks-
deutschen aus Jugoslawien und Rumänien.
Die armen Leute kommen von einem Lager
in das andere – und haben nirgends eine
bleibende Stätte. Es dürften jetzt etwa 120
Flüchtlinge nach hier sein, die hauptstächlich in
Privatwohnungen untergebracht sind.
Die Religiösität der Abwandernden war
keine so besondere (das Lagerleben ist dies-
bezüglich nicht fördernd), aber da sie arm waren,
wurde ihnen vom kirchlichen Armeninstitut geholfen.
Da in den letzten Jahren durch Sturmschäden
und Pflichtlieferungen der Kirchenwald nächst der Haltestelle
stark beansprucht wurde, so hat man im November
400 Fichtenpflänzchen gesetzt. Deus
incrementum det Hier in ganz wörtlichem Sinn!
(Gott möge es wachsen lassen)
In diesem Jahr ließ ich den kleinen Meßkelch ver-
golden. Das Gold lieferte in Form eines Dukaten
der brave P. Juvenal. Die Vergoldung wurde
in zufrieden stellender Weise durchgeführt
von der Firma Stiebler in Linz.
An Weihnachten a. e. wurde ich vom hochwürdig
sten Bischof zum Geistlichen Rate ernannt.
Ich sehe darin ein Zeichen der Anerkennung
für manche Opfer, die man als einsamer Dorfpfar-
rer zu bringen hat. In der Ernennungsurkunde
war auch gedacht meiner Bemühungen um
die Wissenschaft und um die Heimatkunde
im Dienste der Kiche. Diese Ernennung
ist auch eine Ehre für die Pfarrgemeinde. -
Stimmungsmäßig schließt das Jahr 1946 nicht
gut ab. Der Wiederaufbau ging in diesem Jahr
nur im Schneckenschritt vorwärts, die Wirtschafts-
not ist groß, in den einzelnen Familien ist
noch viel Kummer, Leid und Sorge um ver-
mißte Angehörige. Ich habe mir nicht umsonst
als Predigt-Thema den Satz gewählt. „Wir lei-
den Mühsal, aber wir verzagen nicht“ (2 Kor, 4, 8)
So war die christliche Neujahrsstimmung.