Mittwoch 8. Mai 2024

Monika Weilguni verbrachte ihren "Urlaub" als Solidareinsatz auf Lesbos.

Die Linzer Kirchenzeitung berichtet über ihre Erfahrungen.

13. September:
40 Familien wurden in Mitilini, der Hauptstadt der Insel Lesbos, mit Lebensmitteln, Gemüse und Baby-Paketen versorgt. Nothilfe für rund 180 Personen!

 

Solidareinsatz auf Lesbos

 

Wir unterstützen die Familien mit Lebensmitteln, Pampers, Gemüse und Obst. Reis ist teuer und daher für viele unerschwinglich. Wir konnten ihn mit Spenden von Menschen guten Willens unserer Pfarre finanzieren.

 

Solidareinsatz auf Lesbos

 

Die Übergabe erfolgt bei kurzen, vertrauensbildenden Gesprächen zwischen „Tür und Angel“. Alle sind über diese Nothilfe sehr froh. Für die nächsten beiden Wochen müssen sie sich zumindest um ihr Essen keine Sorgen machen.

 

Alle anderen Sorgen bleiben: Dürfen wir in der Unterkunft bleiben? Wann bekommen wir unsere ID-Card? Wann unseren Pass? Wann können wir die Insel endlich verlassen? Das sind die Fragen der Familien, die einen positiven Asylbescheid haben.

 

Wir treffen aber auch auf Familien mit abgelehnten Asylansuchen, 1st oder 2nd Reject heißt das. Wo sollen sie hin? Zurück nach Afghanistan ist keine Option für sie. Ihnen ist die Verzweiflung ins Gesicht geschrieben. Viele erzählen von gesundheitlichen Problemen, Magen und Psyche sind stark angeschlagen. Niemand fühlt sich für sie zuständig. Sie fühlen sich behandelt wie „Spielzeug“, manche sagen sogar wie „Abfall.“

 

Solidareinsatz auf Lesbos

 

Die Lebensmittelpakete sind Dank der tatkräftigen Mithilfe der afghanischen Volunteers mittlerweile an die 40 Familien verteilt.

 

Solidareinsatz auf Lesbos

 

Bei einigen Familien mache ich längere „Hausbesuche“. Ich bin zu Gast bei Fahim, Moshkan und Omid. Ihre Mutter ist kürzlich verstorben. Sie sind verzweifelt. Der 19jährige Fahim musste als Ältester alle Formalitäten abwickeln. Er spricht gut Englisch. Sein Vater hat in Schweden einen positiven Asylbescheid und ist nunmehr nach Lesbos zurück gekehrt. Ich sitze da. Höre zu. Mehr kann ich nicht tun. Mit einem Taxi fährt die Familie einmal wöchentlich zum Grab der Mutter. Die Strecke ist weit, die Fahrt ist teuer. Nächstes Mal werde ich ihr Taxi sein.

 

Eine Familie hat seit 7 Monaten einen positiven Asylbescheid und wartet seither auf ihre ID-Card bzw. auf ihren Pass. Besonders für die „Großmutter“ der Familie ist das schwer zu ertragen. Sie hat Gelenks-, Knie- und Rückenschmerzen, ist vom Leben gezeichnet, kann kaum gehen und bittet um einen Rollstuhl. Sie erzählt unter Tränen von ihren Sorgen um ihre Familienmitglieder in Afghanistan. Die 19jährige Mariam ist zittrig und unsicher. Wir werden versuchen psychologische Hilfe für sie zu organisieren.

Erfreulich ist das Treffen mit einer Familie, die bereits einen Pass hat. Die ältere Tochter spricht perfekt Englisch und übersetzt für mich. Nur für den 10jährigen Enkel der Familie fehlt der Pass noch. Das ist der Grund, warum die Familie noch immer auf Lesbos festsitzt und nicht weiter reisen kann.

 

In allen Familien werde ich sehr herzlich empfangen. Dass sich jemand für sie ausführlich Zeit nimmt, sich für ihre Situation und Lebensumstände interessiert löst zwar ihre Probleme nicht, gibt ihnen jedoch Würde und Ansehen. Jene Würde, die ihnen von der Weltöffentlichkeit aberkannt wird.

 

9. September:

Am 9. Sept. ist es genau ein Jahr, dass das Lager Moria auf der Insel Lesbos gebrannt hat. In diesen Tagen habe ich den Brandort Moria besucht. Es ist ein Hügel des Grauens. Der Schmerz dieses Ortes ist spürbar und sichtbar: Abgebrannte Bäume, dort ein verlorener Schuh, da eine leere Wasserflasche. Und mittendrin noch immer die Aufschrift auf einer Mauer „Make peace not war.“  
 

Solidareinsatz auf Lesbos

 

Zwei Geflüchtete, Mohammad Ali und Esmatullah, die damals in der Brandnacht um ihre Leben gelaufen sind, begleiten mich. Esmatullah ist erstmals wieder hier. Wenn er sich an die Ereignisse erinnert, ist ihm das Entsetzen ins Gesicht geschrieben. Schweigend geht er an den zurückgelassenen Stacheldrahtrollen vorbei. Mohammad Ali erzählt: Vom Feuer, von den versperrten Ausgängen, von den darauffolgenden Tagen am Straßenrand: keine Toiletten, kein Wasser, nichts. Erst nach und nach ist die Hilfe damals in Gang gekommen. Mohammad Ali lebt heute im neuen Lager Kara Tepe II und engagiert sich als Volunteer für verschiedenste Organisationen innerhalb und außerhalb des Lagers.  
 

Solidareinsatz auf Lesbos

 

Seit dem letzten Horrorwinter hat sich die Situation in Kara Tepe II verändert. UNHCR und zahlreiche weitere internationale Hilfsorganisationen leisten Hilfe. Doch es ist noch immer Nothilfe! Man versucht nach und nach Container aufzustellen, damit die Menschen den Winter nicht mehr frierend im Zelt verbringen müssen. Es gibt Toiletten und Duschmöglichkeiten. Aber noch immer zu wenige für die rund 4.200 Menschen, die noch im Lager leben. Letzten Winter waren es 10.000. 
 

Solidareinsatz auf Lesbos

 

Es haben Verbesserungen stattgefunden, trotzdem entspricht dieses Camp keinesfalls den Menschenrechten. 9m2 Platz im Zelt für 1 Familie, immer wieder Stromausfall. Jetzt wirkt das Camp auf den 1. Blich „sauber“, der Schein des weißen Schotters trügt, immer noch darunter lehmiger, von den Baumaschinen zusammengedrückter Boden, der Wasser schwer aufnimmt. 

 

Solidareinsatz auf Lesbos

 

Gute, engagierte Ärzte leisten gute medizinische Versorgung, trotzdem ist meistens nur Symptombekämpfung möglich, statt Ursachenbehandlung. Alle Psycholog*innen bestätigen, dass die Menschen hier an ihre psychischen Belastungsgrenzen kommen.  Es gibt viel zu wenig Kapazitäten für dringend notwendige Behandlung. Frauen, Kinder, Männer werden mit ihren dramatischen Erfahrungen alleine gelassen. Die Not ist groß. 
 

Solidareinsatz auf Lesbos

 

Die Bedingungen haben sich verändert, doch die Not ist geblieben.  

Viele Menschen harren noch immer auf der Insel aus und warten auf ihren Asylbescheid. Viele haben Asyl bekommen und wurden aufs Festland, nach Athen gebracht - ohne Unterstützung, ohne medizinische Versorgung, viele ohne Wohnung. Die Not hat sich verlagert.
 

Solidareinsatz auf Lesbos

 

Hier in Mitilini im Agias Irinis Park treffe ich Familien mit Asylbescheid, die außerhalb des Camps leben und dringend Unterstützung brauchen. Mit Mohammad Ali und vier weiteren afghanischen Volunteers werden wir in den nächsten Wochen Lebensmittelpakete an sie verteilen. Finanziert werden diese von der Initiative rund um Doro Blancke, in deren Verein auch Bischof Herman Glettler im Vorstand vertreten ist.  

 

Innerhalb von 2 Stunden kommen 40 Familien in den Park, um sich für die Lebensmittelpakete vormerken zu lassen. Die meisten bitten um Pampers und Babynahrung.  

Ohne die afghanischen Volunteers, die übersetzen, besondere Bedürfnisse der Menschen erfragen, mich auf vulnerable oder beeinträchtigte Personen hinweisen, wäre diese Arbeit nicht möglich. Auch die Lebensmittelpakete werde ich mit ihnen gemeinsam zusammenstellen. 

Gemeinsam mit den afghanischen Volunteers wird es meine Aufgabe in den nächsten Tagen sein, diese 40 Familien in ihren Unterkünften zu besuchen. Besonders wichtig ist es mir jedoch ihnen Aufmerksamkeit zu schenken und ihnen Würde zu geben. Jene Würde, die ihnen von der Weltöffentlichkeit aberkannt wird, weil niemand diese Menschen haben will. 
 

Ich bin noch immer davon überzeugt, dass wir in Österreich Platz haben. Jene 40 Familien mit denen ich hier arbeite, sie könnten wir gut in den Pfarrgemeinden in OÖ begleiten. Die diözesane Initiative zur Aufnahme von Geflüchteten (deren Mitglied ich bin) hat in den letzten Monaten in den Pfarrgemeinden bisher 75 frei Plätze erhoben. Mehr als 150 Pfarrgemeinden haben sich gemeldet, dass sie das Anliegen unterstützen.

Pfarre Linz-St. Konrad
4020 Linz
Johann Sebastian Bach Straße 27
Telefon: 0732/657295-0
Katholische Kirche in Oberösterreich
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