Freitag 19. April 2024

Er konnte sehen

Gedanken zur Bibelstelle Johannes 9,7

Um das echte Sehen, um den liebenden Blick geht es Bischof Manfred Scheuer in seiner Predigt zum 4. Sonntag der Österlichen Bußzeit (22. März 2020).

Sehen ist nicht gleich sehen. In der Werbung, in den Medien spielt das Auge bzw. spielt das Sehen eine herausragende Rolle. Die vielen optischen Reize und Angebote sind freilich ambivalent. Wird die Wahrnehmung nur auf einen reduzierten Blickwinkel des Glatten und Schönen geschaltet, werden Lebensinhalte auf Unterhaltungsergiebigkeit getestet, dann entstehen andere Formen der Blindheit, der Abstumpfung und der Unempfindlichkeit.

 

Wir haben das Sehen verlernt und können stattdessen – nach einem Wort von Bert Brecht – nur noch glotzen. Oder das Verliebtsein in das eigene Spiegelbild lässt auf nichts anderes und niemanden anderen mehr achten als auf uns selbst. Am Beispiel Jesu geht eine andere Sehweise auf. Er sah nicht nur in der Schönheit der Lilien auf dem Feld und in der Nahrung, welche die Vögel des Himmels finden, ein Zeichen für die Sorge und Liebe Gottes zu seinen Geschöpfen (Mt 6,26f): Auch die Begebenheit seiner Zeit, wie z. B. den Zusammenbruch eines Turmes (Lk 13), vernahm er als einen Anruf Gottes, der damit den Menschen zur Umkehr bewegen will. Nicht distanzierte Konsumhaltung charakterisierte Jesu Einstellung zur begegnenden Wirklichkeit, sondern Aufmerksamkeit und Durch-Blick auf das eigentlich Erscheinende. „Wer vom Glanz der geschaffenen Dinge nicht erleuchtet wird, ist blind; wer durch dieses laute Rufen der Natur nicht erweckt wird, ist taub; wer von diesen Wundern der Natur beeindruckt, Gott nicht lobt, ist stumm; wer durch diese Signale der Welt nicht auf den Urheber hingewiesen wird, ist dumm. Öffne darum die Augen, wende dein geistliches Ohr ihnen zu löse deine Zunge und öffne dein Herz, damit du in allen Kreaturen deinen Gott entdeckest, hörest, lobest, liebest ..., damit nicht der ganze Erdkreis sich anklagend gegen dich erhebe!“ (Bonaventura)

 

Sehen ist nicht gleich sehen. Im Gesicht drückt sich die unverwechselbare Identität, drückt sich die Innenseite der Seele aus. Im Antlitz sprechen sich auch Beziehungen aus. Wir spüren, wie wohltuend und heilend liebende Aufmerksamkeit ist, wie wichtig es ist, wahrgenommen zu werden, ein „Ansehen“ zu haben. Es kann aber auch verletzend sein, wenn jemand, der
körperlich da, mit den Gedanken aber ganz woanders ist. Blicke können flehentlich sagen: Ich brauche dich, bitte lass mich nicht im Stich, lass mich nicht allein. Ein Blick kann unbedingt in Anspruch nehmen: Du musst mir helfen! Oder: Du darfst mich nicht töten! Oder: Schau mir in die Augen, d. h. sag mir die Wahrheit! Mit Blicken und mit der Gestik des Gesichtes können auch Kälte, Gleichgültigkeit und Verachtung signalisiert werden. Ohne Worte sagt da einer: Du bist für mich überflüssig, reiner Abfall und Müll, den zu verwerten und dann zu entsorgen gilt, du bist eine Null, ein Kostenfaktor, den wir uns in Zukunft nicht mehr leisten wollen. Blicken können kontrollieren, überwachen, fixieren und lähmen. Wenn Blicke töten könnten, heißt es nicht umsonst in der Alltagssprache. Blicke können verachten oder sogar töten.

 

Und Blicke können Ansehen geben und lieben. „Und weil das Auge dort ist, wo die Liebe weilt, erfahre ich, dass Du mich liebst. … Dein Sehen, Herr, ist Lieben. … Soweit Du mit mir bist, soweit bin ich. … Indem Du mich ansiehst, lässt Du, der verborgene Gott, Dich von mir erblicken. … Dein Sehen ist Lebendigmachen. … Dein Sehen bedeutet Wirken.“[1] So Nikolaus Cusanus. Jesu Blick vermittelt uns Ansehen und Lieben.

 

Mit Jesu Blick ist noch eine andere Form des Sehens verbunden. „Er sah ihn und ging weiter“, so heißt es vom Priester und Leviten, die am Wegrand den Halbtoten liegen sehen, aber nicht helfen. Menschen sehen und doch übersehen, Not vorgeführt bekommen und doch ungerührt bleiben, das gehört zu den Kälteströmen der Gegenwart. – Im Blick der Anderen, gerade des armen Anderen erfahre ich den Anspruch: Du darfst mich gleichgültig liegen lassen, du darfst mich nicht verachten, du musst mir helfen. Die Augen öffnen! Jesus lehrt nicht eine Mystik der geschlossenen Augen, sondern eine Mystik der offenen Augen und damit der unbedingten Wahrnehmungspflicht für das Leid anderer. Jesu Sehen führt in menschliche Nähe, in die
Solidarität, in das Teilen der Zeit, das Teilen der Begabungen und auch der materiellen Güter. Jesu Sehen führt in menschliche Nähe, in die Solidarität, in das Teilen der Zeit, das Teilen der Begabungen und auch der materiellen Güter. „Ein sehendes „Herz sieht, wo Liebe Not tut und handelt danach.“[2] „Ich muss ein Liebender werden, einer, dessen Herz der Erschütterung durch die Not des anderen offen steht. Dann finde ich meinen Nächsten, oder besser: dann werde ich von ihm gefunden.“[3]

 

Bei Lukas gibt es eine andere Geschichte einer Blindenheilung, die allerdings nicht als solche bekannt ist. Von den Jüngern, die nach Emmaus unterwegs waren heißt es, dass sie wie mit Blindheit geschlagen waren, sodass sie den Auferstandenen nicht erkannten. Und danach: Da gingen ihnen die Augen auf und sie erkannten ihn (Jesus) (Lk, 24,16.31). Ich möchte wieder sehen, d. h. ich möchte dich – Jesus – erkennen und dir nachfolgen.

 

Seit knapp zwei Wochen wird uns die Tragweite des Coronavirus bewusst. Das soziale, kulturelle, gesellschaftliche, wirtschaftliche und auch kirchliche Leben ist ziemlich heruntergefahren. Was wir jetzt brauchen, ist aber gerade kein egoistischer Rückzug auf die Sorge um die eigene Gesundheit, sondern das gute Schauen auf die Schutzbedürftigen und auf die Risikogruppen. Jede Krise erzeugt neue Vergesslichkeiten und hat ihre blinden Flecken – besonders gegenüber jenen, die mit dieser Situation überfordert sind, die gerade jetzt nicht das Gefühl vermittelt bekommen sollen, alleingelassen zu sein. Trotz der notwendigen körperlichen Distanz gilt es den Herzen und den Seelen diesbezüglich gefährdeter Menschen nahe zu sein und wahrzunehmen, was sie brauchen. Nicht im Stich lassen und nicht im Stich gelassen werden, das zeichnet eine humane Gesellschaft und eine christliche Gemeinschaft aus. Was brauchst du? Mit dieser Frage vermag man aktiv notwendige Unterstützung anzubieten: Das können dann die Hilfe beim Einkaufen, die Besorgung in der Nachbarschaft oder das Aufrechterhalten von regelmäßigen telefonischen Kontakten sein. Das könnte bedeuten, dass wir wieder einmal einen Brief schreiben oder das eine oder andere lustige Urlaubsfoto als Erinnerung versenden. Lachen, Freude haben an schönen Dingen und das Teilen wunderbarer Erlebnisse über die Kommunikationsmittel ist in dieser Situation wichtig. Ein großer Dank gilt allen, die in der Pflege von Kranken, von älteren und pflegebedürftigen Menschen arbeiten und die Grundversorgung ermöglichen. „Schau auf dich, schau auf mich“ ist das Motto einer gemeinsamen Anstrengung, die Auswirkungen des Coronavirus einzudämmen. – „Er konnte sehen“ (Joh 9,7), so heißt es im Evangelium vom heutigen 4. Sonntag der Österlichen Bußzeit.

 

+ Manfred Scheuer
Bischof von Linz

 

[1] Nikolaus von Kues, De visione Dei/Die Gottesschau, in: Philosophisch-Theologische Schriften, hg. und eingef. Von Leo Gabriel. Übersetzt von Dietlind und Wilhelm Dupré, Wien 1967, Bd. III, 105-111.

[2] Benedikt XVI., Deus Caritas est 31.

[3] Joseph Ratzinger / Benedikt XVI., Jesus von Nazareth. Erster Teil: Von der Taufe im Jordan bis zur Verklärung, Freiburg iB. 2007, 237.

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