musica sacra-Konzert: „BACHplus“
Österreichische Erstaufführung: „Lasset uns ablegen die Werke der Finsternis“
Ermöglicht wurde die österreichische Erstaufführung der Kantate „Lasset uns ablegen die Werke der Finsternis“, F.80, aus der Feder des ältesten Bach-Sohnes Wilhelm Friedemann Bach (1710–1784) durch das Bach-Archiv Leipzig und seinem Leiter Peter Wollny, der dem Konservatorium für Kirchenmusik der Diözese Linz die handschriftlichen Noten des Werkes überließ. Uraufgeführt wurde „Lasset uns ablegen die Werke der Finsternis“ vermutlich am ersten Advent des Jahres 1749 in Leipzig. Der Text der Kantate stammt aus der Feder des Dichter-Theologen Johann Friedrich Möhring (1690–1773) und erschien 1723 in Zerbst unter dem Titel „Gott geheiligtes Beth= und Lob=Opffer der Christen“.
Musikalisch ist Wilhelm Friedemann Bachs Werk deutlich vom empfindsamen Stil geprägt und weist bereits Nähe zur Wiener Klassik auf. Die für eine Adventskantate instrumental außergewöhnlich groß besetzte Kantate besticht dabei durch große Kunstfertigkeit in der Führung der Chorstimmen und im Ausdruck der Arien.
In strahlendem D-Dur deutet Wilhelm Friedemann Bach den auf die Bibelstelle Röm 13,12 bezugnehmenden Text des Eingangschors aus – besonders ausdrucksstark übersetzt Bach dabei die Textstellen zu den „Werken der Finsternis“ und den „Waffen des Lichts“ in Musik. Denn: Eine neue Zeit beginnt – was hinter uns liegt, liegt im Dunkeln, was auf uns zukommt, strahlt im Licht. Auf den schwungvollen Eingangschor, den sich die vier Solostimmen und der Chor teilen, folgen das Alt-Recitativo „Es ist nun hohe Zeit“, der Choral „Steh auf vom Sündenschlaf“ sowie das Tenor-Recitativo „Drum, Vater“. In der Da-capo-Arie „Höre, Vater, mit Erbarmen“ gesellt sich zu den sehr lyrisch geführten Stimmen des Instrumentaltrios (Flauto traverso, Violine, Basso continuo) in leidenschaftlichem h-Moll die Sopransolistin mit einer virtuosen Vokalpartie. Das anschließende Recitativo accompagnato „Ich weiß, die Nacht ist schon dahin“ des Basses leitet musikalisch-textlich von der Ungewissheit der Nacht in die Gewissheit des Lichts über, die in der als Trio komponierten Da-capo-Arie „Ich ziehe Jesum an im Glauben“ des Alts nicht nur textlich, sondern auch harmonisch, melodisch und rhythmisch ihre Bestätigung findet. Auf den Choral „Den Geist, der heilig ist“, der mit der bekannten Choralmelodie von „Nun danket alle Gott“ unterlegt ist, folgt noch einmal der Eingangschor, der so den Rahmen der Kantate bildet.
Aktualisierung erforderlich!
Um die AudioDatei abspielen zu können, aktualisieren Sie bitte Ihren Browser oder installieren Sie eine aktuelle Verison des Flash plugins.
Feature zum Konzert „BACHplus“ im Rahmen der Reihe musica sacra – musik in linzer kirchen – Querschnitt des Programms | Gestaltung: Konservatorium für Kirchenmusik der Diözese Linz/Stefanie Petelin | Aufnahme: Wolfgang Kreuzhuber
Bewerbungskantate eines Vielschreibers: „Magnificat anima mea“
Auf Wilhelm Friedemann Bachs beeindruckende Adventskantate folgte Christoph Graupners (1683–1760) Kantate „Magnificat anima mea“, GWV 1172/22. Das Werk spiegelt seinen typischen, frischen Kompositionsstil, der bereits die schlichte Schönheit der Wiener Klassik erahnen lässt, wider. Graupner zählte neben Händel, Keiser und Telemann zu den am meisten geschätzten Komponisten des deutschen Spätbarocks und gilt heute mit seinen mehr als 1400 geistlichen Kantaten regelrecht als „Vielschreiber“. Trotz seines großen Arbeitspensums zeigt sich Graupner in seinem Werk ausgesprochen inspiriert und einfallsreich.
Während Graupner im Jahr 1722 aus familiären Gründen in Leipzig weilte, wurde er vom Stadtrat aufgefordert, sich um das seit dem Tod von Johann Kuhnau verwaiste Thomaskantorat zu bewerben. Als ehemaliger Thomaner und Jurastudent an der Universität Leipzig kannte Graupner die Verhältnisse an der Leipziger Thomaskirche natürlich gut – und so komponierte Christoph Graupner für Weihnachten 1722 die Kantate „Magnificat anima mea“, die er vermutlich gemeinsam mit den beiden Kantaten „Aus der Tiefen rufen wir“ und „Lobet den Herrn, alle Leiden“ für den zweiten Epiphaniassonntag 1723 beim Stadtrat als Bewerbung einreichte. Nicht bekannt ist, ob es jemals Aufführungen der Kantate in Leipzig oder Graupners Wahlheimat Darmstadt gab, denn zeitgenössisches Aufführungsmaterial ist nicht erhalten.
Graupners „Magnificat“, das in neun selbständige Sätze gegliedert ist, ist hinsichtlich dem Mittel der Textausdeutung in einer langen Tradition verwurzelt. Mit einem jubelnden Orchestertutti beim „Magnificat anima mea“ eröffnet Graupner sein Werk. Das daran anschließende „Et exultavit“ im Dreiermetrum – als tänzerischer Ausdruck der Freude – gestaltet Graupner im Wechsel zwischen Solostimmen und Chor. Die Sopransolistin versinnbildlicht in ihrem „Quia respexit“ die Niedrigkeit („humilitatem“) auch musikalisch durch absteigende Figuren. Ihren Satz „Siehe, von nun an preisen mich selig“ vollendet der plötzlich einsetzende Chor mit dem als Fuge gestalteten Abschnitt „omnes generationes“ („alle Geschlechter“). Nach der virtuosen Tenorarie „Quia fecit mihi magna“, die durch rhythmisch-melodische Figuren den Text illustriert, folgt der einzige Abschnitt der Komposition in Moll – die Sopranpartie „Et misericordia“, die mit dem Einsatz barocker Rhetorik (wie beispielsweise Seufzermotiven) den flehenden Charakter zum Ausdruck bringt. Graupner lässt beim anschließenden „Fecit potentiam“ den Chor – in seiner mächtigen Wirkung durch den Einsatz von Pauken und Trompeten unterstützt – zu Wort kommen. Das Herabstoßen der Mächtigen im „Deposuit potentes“ deutet Graupner im Anschluss musikalisch durch eine absteigende Melodie und das Erhöhen der Niedrigen durch aufsteigende Linien aus. Mit dem „Gloria Patri“ schließt das kompakt und ohne ausgedehnte Zwischenspiele oder endlose Textwiederholungen komponierte „Magnificat“ – Graupners Ausdeutung besticht dabei insbesondere durch kunstvolle Fugen.
Zeitloser Klassiker: „Bereitet die Wege, bereitet die Bahn“
Neben Graupner erhielt auch Johann Sebastian Bach (1685–1750) die Möglichkeit, sich mit eigens komponierten Kantaten in Leipzig vorzustellen, Sieger des musikalischen Duells war Graupner. Doch sein Dienstherr, der musikliebende Landgraf Ernst Ludwig von Hessen-Darmstadt, ließ Graupner nicht ziehen. Und so blieb er bis an sein Lebensende in Darmstadt – und Bach wurde Thomaskantor. Wenige Jahre vor diesem musikalischen Wettstreit entstand bereits Bachs Kantate „Bereitet die Wege, bereitet die Bahn“, BWV 132, mit der das Konservatorium für Kirchenmusik der Diözese Linz den Konzertnachmittag beschließt. Das für den vierten Advent 1715 in Weimar komponierte Werk zählt zu den wenigen Kantaten Bachs mit originaler Datierung. Uraufgeführt wurde die Komposition am 22. Dezember 1715 in der Schlosskirche Weimar. Bach wirkte zu dieser Zeit als Konzertmeister am Hof von Johann Ernst von Sachsen-Weimar. Der Kantatentext stammt aus der Feder des Weimarer Hofpredigers Salomon Franck (1659–1725), er wurde 1715 in der Sammlung „Evangelisches Andachts=Opffer“ veröffentlicht. Der Kantatentext knüpft eng an die Lesungen des Tages (Phil 4,4–7 und Joh 1,19–28) an.
Wie andere Bach-Kantaten aus der Weimarer Zeit ist auch „Bereitet die Wege, bereitet die Bahn“ mit vier Stimmen, zwei Violinen, Viola und Basso continuo klein besetzt. Die Kantate wird mit der schwingenden Sopran-Arie „Bereitet die Wege, bereitet die Bahn“ im 6/8-Takt eröffnet, textlich nimmt die Arie – wie das Evangelium des Tages – auch auf den Propheten Jesaja Bezug. Der Tenor schließt mit dem Recitativo „Willst du dich Gottes Kind und Christi Bruder nennen“ mit längeren Arioso-Abschnitten an – darin sind Stimme und Basso continuo zum Teil als Imitation geführt, parallel auf die Worte „daß er mit dir im Glauben sich vereine“. In der darauffolgenden Arie stellt der Bass der Zuhörerschaft die Frage des Johannes: „Wer bist du?“. Nach dem ausdrucksvollen Alt-Rezitativ „Ich will, mein Gott, dir frei heraus bekennen“ folgt die Arie „Christi Glieder, ach bedenket“, in der der Solo-Alt in ein Duett mit der Solo-Violine tritt. Mit dem vierstimmigen Choral „Ertöt uns durch deine Güte“, der fünften Strophe von Elisabeth Crucigers Choral „Herr Christ, der einig Gotts Sohn“, endet die Kantate. Die ursprüngliche Melodie des Chorals ist nicht überliefert (vermutlich wurde sie auf einem getrennten Blatt notiert), stattdessen wird der gleichlautende Schlusschoral von „Ihr, die ihr euch von Christo nennet“ aus dem Jahr 1725 musiziert.
Jubelnder Beifall: „Begeisterndes Musica Sacra-Konzert“
Dirigent Wolfgang Kreuzhuber und sein Ensemble erhielten lautstarken Applaus des die Linzer Minoritenkirche ausfüllenden Publikums. Seitens der Diözese Linz, die mit Gabriele Eder-Cakl als Direktorin des Pastoralamts der Diözese Linz als Patin des Konzerts fungierte, durfte sich das Konservatorium für Kirchenmusik der Diözese Linz insbesondere über den Besuch von Bischof Manfred Scheuer, Bischofsvikar Johann Hintermaier sowie Bischofsvikar Wilhelm Vieböck freuen. Daneben wurden auch Edeltraud Addy-Papelitzky, stellvertretende Direktorin des Pastoralamts der Diözese Linz sowie Leiterin des diözesanen Personalservice, Monika Heilmann, Bereichsleiterin des Bereichs Pfarre und Gemeinde im Pastoralamt der Diözese Linz, sowie Josef Schwabeneder, Bereichsleiter des Bereichs Bildung und Kultur im Pastoralamt der Diözese Linz, im Publikum gesichtet.
Auch Kulturkritiker äußerten sich nach dem Konzert sehr lobend – so charakterisierte Fred Dorfer (Kronen Zeitung Oberösterreich, 17. Dezember 2019, „Barockklänge am dritten Advent“) „BACHplus“ als „sehr stimmiges“ und „begeisterndes Musica Sacra-Konzert“ und lobte sowohl den „homogen klingenden Chor des Konservatoriums für Kirchenmusik“ und das „musizierfreudige Barockensemble Linz“ als auch das Solistenquartett, das „mit stilgerechter Interpretation glänzte“. Besonders hervorgehoben wurde dabei der „strahlende Sopran“ von Martina Daxböck und der „sonore Bass“ von Gerd Kenda.
Ähnlich äußerte sich Georgina Szeless (Oberösterreichisches Volksblatt, 17. Dezember 2019, „Vom Dunkel ins strahlende Licht“), die die „Spezialisten ihres Faches“ in den verschiedenen Abschnitten der Werkfolge heraushörte: „Sowohl in den sattelfesten Chorstimmen als auch den ausdrucksvollen Arien, Chorälen und Rezitativen verriet sich die Beherrschung der Kunst der Rhetorik zu Bachs Zeiten – die gesetzmäßige Artikulation und die Balance zwischen Hebung und Senkung – und bestimmte ihre musikalische Ästhetik.“ Außerdem hob Szeless Wolfgang Kreuzhubers Fähigkeiten, immer wieder „Konzertentdeckungen“ zu bieten, hervor.
Summa summarum: Ein begeisterndes musica sacra-Konzert, das Lust macht, weitere musikalische Schätze zu heben!
Stefanie Petelin