Manchmal müssen die Dinge einfach auf den Tisch
Ich stehe hier beim Volksaltar. Bewusst habe ich diese Seite mit Blickrichtung nach vorne zum Hochaltar gewählt. Diese Perspektive nehme ich auch als Gottesdienstteilnehmerin ein. Zudem habe ich hier zu meinen Füßen Reliquien von zwei Märtyrern (P. Engelmar Unzeitig und Josef Mayr-Nusser), deren Wirken Bedeutung für mich hat.
Der Volksaltar wurde bei der Neugestaltung des Altarraumes sehr bewusst in die Mitte gerückt. Rundherum sind Bänke angeordnet. So wird dem gemeinsamen Sich Versammeln um einen Tisch und dem Eingeladen sein aller zum Tisch des Herrn Ausdruck gegeben.
Ich pflege meine Freundschaften gerne, indem ich zum Essen einlade oder mit jemandem Essen gehe. Dabei kann Austausch passieren, kann gelacht werden; schwierige Themen kommen ebenso zur Sprache wie humorvolle Ereignisse. Sich an einem Tisch versammeln schafft die Voraussetzung, dass auf den Tisch kommen kann, was da ist, was stört, was Angst macht, Freude bereitet, mit Sorgen erfüllt. Ich glaube, dass jeder Mensch einen Ort braucht, wo sie/er gehört wird, ungefragt und unangemeldet willkommen ist und Ansehen bekommt. Der Küchentisch bei uns zuhause ist so ein Ort, der Tisch des Altares ist auch so ein Ort, wo Leben zur Sprache kommt mit allem was es ausmacht. Nährendes und Hoffnungsvolles geteilt wird, so dass man anders, gewandelt – vielleicht versöhnt mit sich und anderen/dem Leben - weggehen kann.
Bei der Suche nach meinem Platz im Dom habe ich zunächst Ausschau gehalten nach einem Ort der Versöhnung und des Neubeginns. Die Beichtstühle und Aussprachezimmer erschienen mir dafür zu dunkel, zu abgeschieden. Es zog mich in die Mitte, zum Tisch. Es ist doch so im Leben: Manchmal müssen Dinge einfach auf den Tisch. Dann können sie wahrgenommen, besprochen und behandelt werden. Mir fallen bei diesem Gedanken zum einen eigene Gesprächssituationen mit Menschen ein, die ihre gerade schwierige Situation vor mir auf den Tisch gelegt haben. Gemeinsam haben wir dann geschaut, geordnet, verschiedene Sichtweisen in den Blick genommen und sehr oft ist es gelungen, dass diese Personen mit neuer Perspektive weggehen können. Zum anderen denke ich auch an Schriftstellen, in denen Jesus genau jene Menschen in die Mitte stellt, die von anderen als sündig abgestempelt wurden (Mann mit verdorrter Hand, Frau mit gekrümmtem Rücken).
Diese Einladung aller zum Tisch steht für eine Haltung des Miteinanders und Füreinanders. Damit drückt sich für mich eine wesentliche Grunddimension christlichen Glaubens aus: das Leben erfüllt sich, indem ich es mit anderen teile. Anteil nehmen und Anteil nehmen lassen, fürsorgend sein, empathisch wahrnehmen, wie es dem anderen geht. Bezogen auf die Feier der Eucharistie, die hier an diesem Tisch gefeiert wird, heißt es: füreinander Brot sein - also stärkend, nährend, geschmackvoll, aber auch gewöhnlich alltäglich. Ein Stück Schwarzbrot schmeckt gut, lässt sich unkompliziert teilen und gibt neue Lebenskraft.
Ich sehe darin die heilende Kraft christlichen Glaubens und ich bin davon überzeugt, dass unsere Welt Menschen braucht, die eine Lebensweise des Für-sorgens einer Lebensweise des bloß für sich Vor-sorgens vorziehen.
Damit komme ich zu einem weiteren Aspekt dieses meines Ortes. Dort wo ich stehe, sind Reliquien der Seligen P. Engelmar Unzeitig und Josef Mayr-Nusser im Altar eingemauert. Zwei Männer, die in der Zeit des Nationalsozialismus wie viele andere auch, ihr Bekenntnis zum Glauben in Taten gelebt haben. Sie haben ihr Brot, trotz Hunger, geteilt und so Beziehungen zu den Mithäftlingen aufgebaut. Sie haben sich in aller Grausamkeit des Systems die Fähigkeit des Mitfühlens und den Blick für die Schwächeren bewahrt und haben entsprechend gehandelt.
Ich bin selber in einer Zeit des Friedens groß geworden und bin sehr dankbar in einem Sozialstaat zu leben. Ich sehe aber auch, dass mitten in einem reichen Österreich Menschen unter die Räder kommen, menschenunwürdig behandelt werden und Ausgrenzung erfahren. Einsamkeit wird zunehmend als Schattenseite unserer individualisierten Gesellschaft sichtbar, erfahrbar. Ich glaube es braucht zur Gestaltung unseres größeren Miteinanders Menschen, die AnwältInnen für Menschenwürde, Solidarität und fürsorgende Achtsamkeit sind. Das Sich Versammeln am Tisch des Brotes erinnert daran, die Lebensthemen gemeinsam in den Blick zu nehmen und einander zu helfen, dass das Leben gelingt.