„Wo gehöre ich hin?“
Mein Platz im Dom ist hier beim Nasenflötenbär. So nenne ich ihn schon immer.
Ob ich ihn selbst entdeckt habe oder ob ihn mir einmal wer gezeigt hat, weiß ich nicht mehr, denn der Dom ist mir seit frühester Kindheit vertraut. Meine Eltern gingen mit mir regelmäßig zu den Kindergottesdiensten, und ich wurde bis ins Teenie-Alter eine eifrige Ministrantin. Später habe ich dann das Theologiestudium begonnen. Und dazwischen und danach ist drumherum viel „Leben“ passiert. Immer aber fühlte und fühle ich mich im Dom „zu Hause“.
Als Kind gefiel mir der Gedanke, wie Vincenz Statz, der Architekt des Doms, den ich von den Bildern in der Krypta kannte, an seinem Schreibtisch saß, den Dom plante und spitzbübisch dabei grinste, als er hinten ins linke Eck dieses Wesen zeichnete. So habe ich es mir zumindest damals vorgestellt. Heute gefällt mir der Gedanke, dass wohl kaum jemand auf ein kirchliches Umfeld tippen würde, wenn er den „Nasenflötenbär“ als lebendig gewordenen kleinen Kerl auf der Landstraße treffen würde und dieser fragt: „Na was glaubst du? Wo gehöre ich hin?“
In diesem großen, eher dunklen, meistens kalten Dom mit den vielen glatten Flächen, langen Linien und geraden Kanten, der so viel Ehrfurcht, Ruhe und Erhabenheit ausstrahlt, in diesem Dom ist links hinten Platz für einen verspielten lustigen Gesellen mit buschigem Schwanz und einer Flöte, der dem Rudigier was pfeift. Der keine Aufgabe hat, außer hier zu sitzen und DA zu sein. In der Mitte zwischen den Altären des Alten und des Neuen Testamentes ist er in Stein gehauen, um „auf ewig“ DA zu sein. Im neugotischen, schlichten Kirchenraum, wo alles einen Zeck, einen Sinn, eine Funktion zu haben scheint, ist Platz für den Nasenflötenbären. Mehr noch: er gehört hierher. Der Linzer Dom wäre „irgendein Dom“ und nicht der Mariä- Empfängnis-Dom in Linz und schon gar nicht mein Dom ohne diesen kleinen Gesellen.
Ich bin Theologin, ich habe das Studium aber bisher nicht abgeschlossen.
Ich bin gläubig – und geschieden. Nach der Scheidung habe ich ein Kind bekommen und bin nun alleinerziehende Mutter einer fast zweijährigen Tochter.
Ich wurde schon von Priesterseminaristen als „fromm“ bezeichnet und habe mich reflexartig dagegen gewehrt. Aber es stimmt: Je nach Lebenssituation änderten sich Art und Weise der Ausübung meines Glaubens. Häufigkeit und Inhalt variierten und variieren, aber schon mein ganzes Leben lang begleiten mich die unterschiedlichen Ausdrucksformen des Glaubens. Meines Glaubens. Die Kirche hat ja ein großes Angebot an Liturgieformen und spirituellen Übungen: die (nicht nur sonntägliche) Eucharistie, die (nicht nur vorösterliche) Beichte, die Tagzeitenliturgie - alleine oder noch schöner: freitäglich die gesungene Vesper im Dom in einer Gemeinschaft, die gut zusammenklingt, Gebete: frei gesprochen oder auswendig, ritualisiert und vertraut, Exerzitien im Haus der Stille in Graz und in anderen Klöstern, sogar Wallfahren war ich schon einmal: 6 Tage alleine von Linz nach Mariazell, und seit zwei Jahren sind es hauptsächlich Kindermessen und Gute-Nacht-Gebete, in denen ich den Namen Gottes anrufe.
Mein Glaube hat sich immer meinem Leben angepasst, denn es gibt so wunderbar vielfältige Ausdrucksformen des Glaubens. Selbst Gott zeigt sich in drei Formen. Als Vater, als Sohn und als Heiliger Geist. Als Wort, als Fleisch und als Beziehung. Sogar der „Eine und Einzige“ hat Platz für mehr.
Mir wurde oft gesagt, ich sei (hier) falsch, solle anders sein, normal, so wie „man“ halt sein soll. Ich sei „zu anders“, passe nicht dazu.
„Was DU?“ war und ist die Reaktion, die ich am öftesten auf „Ich studiere Theologie“ gehört habe. Aber JA: auch ich gehöre zur Kirche. Auch ich glaube, bin gläubig, bin Christin, bin Katholikin. Auch für mich ist Platz in der Kirche, im Dom. Mehr noch: der Nasenflötenbär und ich: wir gehören hierher!