Revolution der Zärtlichkeit
Mein Platz ist der Eingangsbereich, direkt unterhalb der Rudigierorgel. Es ist ein guter Platz um sich zu orientieren. Um den leeren, großen Raum in seiner einladenden Weite, Höhe und Tiefe auf sich wirken zu lassen. Ein guter Platz um ganz still zu werden, um den Boden unter den Füßen zu spüren und den Horizont über sich zu erahnen. Ein Platz, der einlädt ganz zärtlich und tastend sich auf Spurensuche zu begeben. Ein Platz, der flüsternd nach vorne lockt, in die Winkel, wie in das Zentrum des Raumes hinein, in dem die Mitte nun ganz offen und verletzlich sich mir offenbart.
Es ist genau jener Bereich, an dem ich - als Gastgeberin - stehe. Hoffend und sehnsüchtig den Moment erwartend, an dem sich die Türen öffnen und viele neugierige Gesichter über die Schwelle treten, um den Geschichten der Domfrauen zu lauschen.
Dies ist ein wunderbarer Moment, voll Dichte und Ehrfurcht. Eine Perspektive auf den Raum und die Menschen, denen ich in die Augen zu blicken versuche, die von so viel Überraschungsfreudigkeit zeugen, wenn sie inmitten der Domfrauen stehen und sich erste Bilder im Kopf abzuzeichnen scheinen.
Es ist jener Punkt, an dem ich die Menschen auf Entdeckungsreise schicke und sie wieder zurückrufe zum Anfang, immer dann, wenn der „Gong“ ertönt.
Ein schöner Punkt am Anfang und am Ende einer Reise, die Menschen begleiten und dabei schier unsichtbar bleiben zu dürfen. Lediglich die elegante Feder auf meinem Kopf verrät mich in meiner Rolle. Denn besonders anmutig schwingt sie bei jedem Schritt und ich habe gelernt, es ihr nicht zu verbieten. Es ist jene Botschaft mit der ich die Menschen so gerne entlasse. „Wo ist dein Platz im Raum?“ „Was regt dich an?“ „Was regt dich auf?“ „Wo gehst du - gut behütet und schwingend wie die Feder - deiner Wege?“
In letzter Zeit frage ich mich oft „Was hält mich noch in dieser Kirche?“.
Eine Kirche, die so anfällig ist für Macht und Missbrauch, für Kleingeistigkeit und Lieblosigkeiten. Und dann blicke ich in die unzähligen, neugierigen und lächelnden Gesichter der Gäste, die von so viel Lebensglaube zeugen, sodass ich dankend Hoffnung schöpfen darf. Da gibt es so viel Gutes und Schönes.
Ich glaube an die „Revolution der Zärtlichkeit“, die dazu führt, mein Gegenüber in der Vielfalt der Lebens- und Glaubensbezüge gut sein lassen zu können. Die Domfrauen verkörpern für mich diese Revolution. Frauen im Spannungsfeld zwischen Berührbarkeit und Kraft, zwischen der Herausforderung sich Raum zu nehmen und diesen gleichsam wieder freizugeben.
Die Geschichten der Domfrauen, ihre Anmut und Schönheit, ihr Mut und die vielen berührenden Begegnungen sind von nun an in diesen Raum eingeschrieben und gehen dort auch nicht mehr weg. Seien auch Sie mutig und lassen Sie sich überraschen vom Boden, der trägt, von der Weite, die säuselt, von der Höhe, die wachsen lässt, von der Schönheit, die Sie herausruft, sich selbst mit liebevollen Augen zu betrachten.