Die naive Katholikin und Weltreisende
Ich bin in Leonstein, einem kleinen Dorf 60 km südlich von Linz, als siebtes Kind in eine bäuerliche Familie geboren. Die Sakramente bis zur Firmung waren eine Selbstverständlichkeit und sonntags ging man in die Kirche – ich als Ministrantin oder an der Seite meiner Mutter. Der Ablauf und Hintergrund einer Messe blieben von mir allerdings unreflektiert: Wann und warum knie ich mich hin? Oder stehe ich doch lieber auf? Soll ich nun ein Kreuz machen? Warum dieses Glockengeläute? Und trotzdem, Ritualen konnte ich bereits als Kind etwas abgewinnen und der Kirchgang war doch „irgendwie“ gut. Meine liebsten Beschäftigungen waren das lange Anstarren des gekreuzigten Jesu - denn womöglich gibt er mir ja ein Zeichen durch sein Zuzwinkern. Die Zwiesprache mit Gott - so deutlich, dass ich ihn sogar manchmal hören konnte. Und das Anzünden einer Kerze – immer in Verbindung mit meinen kindlichen Bitten (natürlich sagte ich auch immer Danke, da ich mir einbildete, dass nur Bitten nicht gehört werden – ich wollte ja nicht undankbar sein ...).
Ich wurde älter, meine Bitten wurden nicht weniger - da passte es, dass die Kirche größer wurde: Aus beruflichen Gründen ging es mit 19 Jahren nach Linz. Die Dompfarre gab mir erste soziale Kontakte in der Fremde. Die Kirchgänge wurden zwar weniger, der riesige Linzer Dom gab mir aber eine bekannte Umgebung – für meine Zwiesprache mit Gott, zum Durchschnaufen, für meine Kerzen und Bitten.
Mit 33 Jahren zog ich dann in die Ferne. Ein Jahr und zehn Tage war die Welt mein Zuhause - umringt von fremden Religionen, Gewohnheiten, Kulturen und Menschen. Alleine mit meinem Rucksack ging es vom südlichen Afrika nach Indien und über Thailand, Kambodscha, Vietnam, Malaysia, Indonesien nach Australien und Südamerika.
Eine große, bunte, interessante, abenteuerliche Welt - eine schöne Welt, diese unsere Welt – mit tollen Menschen! Manchmal aber auch fremd, angsteinflößend und laut. Daher suchte ich immer wieder Orte des Rückzugs, Innehaltens, Nachdenkens und der Reflexion. Schlafsäle mit 20 anderen Menschen aus der ganzen Welt, überfüllte Lokale oder stinkende Verkehrsmittel waren wirklich nicht immer die richten Orte dafür. In der Natur und in unterschiedlichsten Kirchen fand ich eine passende Umgebung für die Auseinandersetzung mit mir und der Welt. Diese unterschiedlichen Gebetsorte waren ein Stück Heimat, hatten überall etwas Vertrautes in der Fremde. Dort hatten meine Gedanken, Ängste, Vergangenheit und Zukunft Ruhe und Raum. Meine Bitten wurden oft symbolisiert und der Welt sichtbargemacht durch eine Kerze, ein Räucherstäbchen, ein Glöckchen, ... Dort konnte ich Zwiesprache mit jemanden – ich nenne ihn Gott – halten und mit meinem verstorbenen Vater. Sein Tod war mit ein Grund für mich, in die Welt zu ziehen. Ich versuchte mich über seinen Tod hinaus mit ihm auszusöhnen.
Irgendwann, ich denke in Indonesien, bemerkte ich, dass meine vielen Bitten verschwunden waren. An ihrer Stelle tauchte nun der „Dank“ auf. Es fiel mir leicht, für so vieles in der Welt und in meinem Leben danke zu sagen – meine Familie, mein Leben, meine Versöhnung mit meinem Vater, Menschen, die meinen Weg kreuzten. Das „Bitte“ war noch da - aber kleiner - und galt all meinen Lieben, meinem Vater und meiner älter werdenden Mutter.
In vielen Kirchen dieser Welt brennen Kerzen – auch von mir.
In vielen Ländern war und ist meine Kerze eine unter vielen. So wie es auch im Mariendom war und ist. Eine Kerze anzünden kann ich. Eine Kerze anzünden kann jeder.
Ich habe die Vorstellung, dass jede Kerze einhergeht mit einem Leben, mit Gedanken, mit Bitten und mit Dank.
Ich habe die Vorstellung, dass meine Kerzen rund um die Welt noch immer brennen, so wie meine Vergangenheit und Zukunft immer in mir sind.
Ich habe die Vorstellung, dass meine Kerzen neben fremden Kerzen stehen. Auch wenn ich nicht weiß, wer sie sind oder wofür diese Kerzen brennen, gibt mir dieses Bild doch Geborgenheit. Es zeigt, dass ich nicht alleine bitte und danke – für das Leben, die Menschen und unsere Welt.
Daher stehe ich an diesem Platz:
Denn ich kann hier Vertrautheit finden – in jeder Kirche und überall auf dieser Welt.
Denn ich kann bitten – in jeder Kirche und überall auf dieser Welt.
Denn ich kann aus vollem Herzen danken – in jeder Kirche und überall auf dieser Welt.
Denn ich kann eine Kerze anzünden – in jeder Kirche und überall auf dieser Welt.
Danke.