Mittwoch 24. April 2024

„Von der Eigengesetzlichkeit des Weltlichen und vom Himmelreich“

Liebe Schwestern und Brüder im Herrn!


Dieses Gleichnis von den anvertrauten Talenten Silbergeld hat Sprach- und Kulturgeschichte geschrieben: erst durch die entsprechende Auslegung dieses Gleichnisses wurde der Begriff Talent –  der ja ursprünglich rein für Geld gestanden ist – mit unserem heutigen Verständnis von Fähigkeiten, Begabungen und Veranlagungen in Verbindung gebracht. Und so werden diese Eigenschaften nun seit Jahrhunderten eben mit dem Begriff „Talent“ bezeichnet.


Ich weiß nicht wie es Ihnen geht – aber für mich war es letztendlich nie ausreichend schlüssig, diesen so starken Text und die dramatischen Konsequenzen allein auf meine Begabungen und Fähigkeiten hin zu deuten.


In den Ohren der ursprünglichen AdressatInnen dieses Evangeliums – JudenchristInnen im heutigen Gebiet von Syrien oder Palästina - war der Begriff Talent noch ausschließlich mit Geld, Zahlungsmittel verbunden. Für sie war vermutlich auch ganz klar, wer mit diesem „Herrn“ gemeint war, der da auf Reisen gegangen ist: Archelaus, ein Sohn von Herodes dem Großen. Archelaus hat von ihm unter anderem die Gebiete von Jüdäa und Samarien geerbt und durch seine grausame Herrschaft traurige Berühmtheit erlangt: 3000 brutal Ermordete bei einem Tempelaufstand, kurz bevor er sich auf die Reise nach Rom machte, um sein väterliches Erbe durch den Kaiser bestätigen zu lassen. Das Volk war dermaßen aufgebracht gegen ihn, dass eine Delegation von Stadträten aus Judäa ebenfalls nach Rom reiste, um den Kaiser davon abzuhalten, Archelaus als Herrscher über diese Gebiete einzusetzen. Ergebnislos, wie wir aus der Geschichte wissen: Archelaus unterdrückte das Volk ebenso wie sein Vater und bereicherte sich und seinesgleichen auf Kosten der Bevölkerung. Wir dürfen annehmen, dass selbst Jahrzehnte nach diesen Ereignissen die Erinnerung an diesen Tyrannen im Volk wach geblieben war.


Vor diesem historischen Hintergrund ein erneuter Blick auf die soeben gehörte Evangeliumsstelle: „Denn wer hat, dem wird gegeben werden… und wer nicht hat, dem wird auch noch weggenommen, was er hat.“ War und ist das nicht die bittere Erfahrung vieler Menschen im irdischen Leben? Soll denn das auch für das Himmelreich stehen? Oder: Da erntet ein Herr, wo er nicht gesät hat, sammelt wo er nicht ausgestreut hat: Ja - ist das der gerechte und menschenfreundliche Gott des Matthäusevangeliums, der Bergpredigt? 


Bei Matthäus heißt es noch ein paar Kapitel vorher: „Ihr wisst, dass die Herrscher ihre Völker unterdrücken und die Großen ihre Vollmacht gegen sie gebrauchen. Bei euch soll es nicht so sein, sondern wer bei euch groß sein will, der soll euer Diener sein,…“ (Mt 20,26)


Wenn man genauer hinsieht, dann bezeichnet der Originaltext diese Bibelstelle wohl gar nicht als „ein Gleichnis vom Himmelreich“, sondern beginnt einfach nur mit der Formulierung „Denn wie ein Mensch, verreisend“: Matthäus spricht also hier – an einer ganz zentralen Stelle seines Evangeliums - ausdrücklich   n i c h t   vom Himmelreich. Das Gleichnis vor dieser Stelle hingegen – wir haben es letzten Sonntag gehört – wird  ganz eindeutig als „Gleichnis über das Himmelreich“ bezeichnet. Vielleicht haben wir es ja heute mit einer Art Gegengleichnis zu tun, mit einer Erzählung über die Eigengesetzlichkeiten der Welt, wie Menschen in der Regel untereinander bzw. miteinander umgehen? 


Unmittelbar nach der Bibelstelle von heute heißt es nämlich – und das werden wir nächsten Sonntag hören: „Wenn der Menschensohn in seiner Herrlichkeit kommt…“. Als Zuspitzung des ganzen bisher im Matthäusevangelium Gesagten, als Handlungsanweisung, worum es im christlichen Leben wirklich gehen soll, als Bild für das endzeitliche Reich im Himmel: „Kommt her, die ihr von meinem Vater gesegnet seid, empfangt das Reich als Erbe… Denn ich war hungrig, und ihr habt mir zu essen gegeben; ich war durstig, und ihr habt mir zu trinken gegeben; ich war fremd, und ihr habt mich aufgenommen; ich war nackt, und ihr habt mir Kleidung gegeben; ich war krank, und ihr habt mich besucht; ich war im Gefängnis, und ihr seid zu mir gekommen.“
Ein Talent, das war sehr viel Geld, das waren ca. 6000 Denare, also in etwa so viel, wie ein einfacher Arbeiter in der damaligen Zeit ein ganzes Leben lang erarbeiten konnte. Soviel Geld in kürzester Zeit vervielfacht: konnte und kann das mit rechten Dingen zugehen? Musste das nicht auf Kosten anderer gehen und bei irgendwem Unrecht, Verlust oder Kummer hervorrufen? Und die Aufforderung, das anvertraute Talent wenigsten auf die Bank zu bringen, damit man Zinsen zurückerhält: widerspricht das nicht dem Zinsverbot der Tora? „Wenn der Menschensohn  in seiner Herrlichkeit kommt“: Kann es nicht vielmehr sein, dass Matthäus uns sagen möchte, dass es für Christen und Christinnen letztlich nicht entscheidend sein wird, welche Beziehung wir zu Geld hatten, sondern wie wir uns den Armen, Notleidenden und Bedürftigen konkret zugewendet haben?


Diese Sichtweise auf die heute gehörte Evangeliumsstelle erschließt sich freilich erst aus dem Zusammenlesen mit dem unmittelbar darauffolgenden Text: vielleicht sollten wir uns angewöhnen, diese beiden Texte immer zusammen zu lesen, zumindest zusammen zu denken.
Schön finde ich, dass zwischen diesen beiden Sonntagen das Fest der Heiligen Elisabeth liegt und wir heute den Caritassonntag begehen: das Leben und Handeln der Hl. Elisabeth scheint wie ein gelebtes Verständnis dieser beiden Bibelstellen zu sein. Trotz vornehmer und wohlhabender Herkunft hat sie sich nicht einfach damit begnügt. Sie hat sich unter realer Gefährdung ihres eigenen Lebens und unter Inkaufnahme widrigster Umständen ganz persönlich und unmittelbar den Armen und Notleidenden zugewendet: aus Überzeugung, dass genau dies ihr Christsein ausmacht. Man kann vielleicht auch sagen, es war ihre Begabung. Ihr „Talent“ war es wohl, ganz konkret in die liebende und dienende Dimension der Nachfolge Jesu Christi einzutreten. Amen.
 

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