„Kunst schafft unterschiedlichen Ebenen und regt an“
MG: Dr.in Martina Gelsinger, Kunsthistorikerin, Kunstreferat/Diözesankonservatorat der Diözese Linz
Kem: Kienast Eva-Maria, Haus der Frau
Von Details und Faszination
Kem: Ich möchte gerne mit einer persönlichen Frage in unser Gespräch einsteigen: Wie bist du zu dem Thema der Kunst gekommen, was hat dich daran besonders interessiert?
MG: Das ist jetzt eine lange Geschichte. Ich habe mit meiner Oma regelmäßig am Sonntag die Kirche besucht. Wir sind immer relativ weit hinten gesessen und ich kann mich erinnern, dass ich diesen Kirchenraum sehr wohl auch als Kunstraum wahrgenommen habe. Ich habe mir einzelne Motive in der Kirche in Schiedlberg eingeprägt: dieser Gottvater, der oben mit wehendem Gewand über der Weltkugel thront. Dieser optische Eindruck hat sich bei mir eingebrannt. Im Gymnasium habe ich dann eine Kunsthistorikerin als Lehrerin in Bildnerische Erziehung gehabt, die mit uns in Steyr viel unterwegs war. Die Details der gotischen Häuser haben mich fasziniert und ich habe sehr viel über Kunstgeschichte erfahren. Trotzdem entschied ich mich dann aber für eine andere Ausbildung und habe die Sozialakademie in Linz absolviert. Das Interesse für Kunst war weiterhin da und mit 21 Jahren habe ich mich für ein Kunstgeschichtestudium entschieden. Es war ein sehr klassisches Kunstgeschichtestudium, wo die Moderne mit Picasso geendet hat. Im Rahmen meiner Dissertation habe ich mich dann mit zeitgenössischer Kunst beschäftigt. Seit dieser Zeit interessiere ich mich auch sehr für Biographien zeitgenössischer Künstler und Künstlerinnen.
Kem: Du bietest in unserem aktuellen Kursprogramm wieder eine Kunstfahrt an. Diese bietet Begegnungsmöglichkeiten und Besuche in den Ateliers von KünstlerInnen.
MG: Genau, wobei die Verbindung zur Geschichte sehr wichtig ist. Mir ist die Möglichkeit, Begegnungen zu schaffen sehr wichtig. Menschen miteinander in Kontakt zu bringen, Barrieren gegenüber zeitgenössischer Kunst abzubauen und Einblicke in die Arbeit in Ateliers zu geben.
Kem: Gibt es eine Künstlerin, die du besonders schätzt?
MG: Es gibt zwei verstorbene Künstlerinnen, die mich von ihrer Arbeit und Biographie her sehr faszinieren: Maria Lassnig und Birgit Jürgenssen. Von Maria Lassnig habe ich alles gelesen, was es zu lesen gibt. Sie war eine unglaubliche Pionierin, die in ihrer Zeit sicher weit und breit die einzige Künstlerin im Studium war. Sie ist in dieser männerdominierten Szene immer wieder aufgetreten und hat ihren Weg sehr konsequent und mit unglaublichen Fleiß und Talent verfolgt. Sie selbst beschreibt ihre Arbeit als „Körpererfahrungskunst“. Die zweite Künstlerin ist Birgit Jürgenssen, die unglaublich spannende Arbeiten zum Thema Frauen und Frauenrollen gemacht hat. Sie hat unglaublich vielschichtige und faszinierende Bilder geschaffen. Das ist auch das Spannende an guter Kunst, dass sie unterschiedliche Ebenen schafft und man angeregt wird, über verschiedene Aspekte nachzudenken.
Von Unterschieden und Projekten
Kem: Kann man überhaupt einen Unterschied zur Kunst von Männern und Frauen festmachen?
MG: Das haben wir gerade gestern intensiv in einer Frauenrunde diskutiert und unser Ergebnis war, dass man es nicht unterscheiden kann. Derzeit lebende Künstlerinnen wollen auch nicht auf ihr Frausein reduziert werden. Sie wollen mit ihrem geschaffenen Werk nicht als Frau eingeordnet werden, sondern über ihre Werke.
Kem: Also unabhängig vom Geschlecht?
MG: Ja, genau und das ist sicher ein Diskussionspunkt. Bei der heurigen Biennale war der erste Satz der Medien: „Erstmals bespielt eine Frau allein den österreichischen Pavillon in Venedig – Renate Bertelmann!“ Das sehe ich sehr zwiespältig: einerseits geht es ja um die Kunst der Renate Bertelmann. Natürlich ist ihre Kunst zeitbezogen, sehr biographisch, wo sie die Rolle von Frauen in Familie, Kunst, Betrieb und Gesellschaft reflektiert. Und andererseits sind ihre Arbeiten lange nicht ausgestellt worden, weil sie nicht in ein bestimmtes Schema gepasst haben. Es braucht in vielen Bereichen die Möglichkeit der schnellen und knappen Ordnungsstruktur und da werden dann Schubladen wie zum Beispiel das Geschlecht herangezogen.
Kem: Die Rolle der Frau in der Kunst wird über die Jahre hinweg als sehr schwierig beschrieben. Es wurde Frauen abgesprochen, in diesem Bereich etwas schaffen zu können. Hat sich in diesem Bereich mittlerweile etwas verändert, wie sind heutzutage die Chancen von Frauen im Kunstbereich?
MG: Kunst ist ja immer ein Abbild von gesellschaftlichen Strukturen. Es ist für Frauen erst seit dem Jahr 1920 möglich, an der Akademie der bildenden Künste in Wien zu studieren. Es wurden davor viele Argumente ins Treffen geführt, warum Frauen nicht Kunst studieren dürfen. In den 1960er und 70er Jahren wurde die Rolle der Frau in der Kunst, Kirche und Gesellschaft über Arbeiten von Frauen aufgearbeitet. Derzeit arbeiten Frauen an den unterschiedlichsten Themen und auch in Kunstkreisen etabliert sich die partnerschaftliche Aufteilung von Familienarbeit. Dazu kommt allerdings, dass man sich mit der Kunst den Lebensunterhalt verdienen muss. Hier sind wir im System des Kunstbetriebes, der Museen und Galerien, wo Frauen extrem unterrepräsentiert sind – auch mit den Preisen, die ihre Arbeiten erzielen. Das hat nichts mit der Qualität der Werke zu tun, sondern oft damit, wie einordenbar die Werke sind oder welche Netzwerke man zur Verfügung hat. Ich sehe hier auch die Verantwortung des Staates, weil Kunst für die Gesellschaft eine ganz wichtige Rolle einnimmt: Dinge zu reflektieren, sichtbar zu machen und zu reflektieren. Private können beitragen, indem sie sich Kunst ansehen und kaufen. Die Kirche hat hier auch eine wichtige Rolle als langjährige Partnerin der Kunst. In der Diözese Linz wird in Kirchen und kirchlichen Einrichtungen, die Kunst der Zeit und ihre wichtige Rolle sichtbar gemacht.
Kem: Seit vier Jahren gibt es hier im Haus das Projekt „Artist in Residence“. Dabei wird Frauen die Möglichkeit gegeben, im Haus der Frau zu arbeiten und zu leben. Wie hat das Projekt damals begonnen?
MG: Bei vielen KünstlerInnen stellt sich nach dem Studium die Frage, wie weitergemacht werden kann. Und oft hängt diese Frage vom Arbeitsraum ab. An der Uni gibt es eine Struktur, die zur Verfügung steht und nach dem Abschluss werden Räume und Orte dafür benötigt. Von der Stadt ausgehend ist es wichtig, diese Räume anzubieten, da sich die KünstlerInnen sonst anderswertig orientieren und wegziehen. Das Salzamt in Linz bietet genau diese Möglichkeit, wenn auch zeitlich sehr begrenzt an. Die Anfragen dort übersteigen die räumlichen Möglichkeiten und so wurde damals, 20xx, für Elisabeth Altenburg eine Arbeits- und Wohnmöglichkeit im kirchlichen Kontext gesucht. Sie hat zum damaligen Zeitpunkt ein Projekt in der Linzer Martin Luther Kirche vorbereitet. Über das Artist in Residence Programm wurden ihr dann die Räumlichkeiten hier im Haus zur Verfügung gestellt.
Kem: Die Ausschreibung für Artist in Residence erfolgt immer im Frühjahr und wir haben viele Bewerbungen. Ab 1. Oktober 2019 wird Franziska Schink bei uns im Haus sein.
MG: Ich bin sehr beeindruckt von den Bewerbungen der letzten Jahre und der Resonanz auf diese Ausschreibung. Dieses Programm ist eine sehr gute Schnittstelle für das Haus zur Gesellschaft. In dieser Form sichtbar zu werden in Kontexten, in denen das Haus bisher nicht sichtbar gewesen ist oder mit einem bestimmten Bild wahrgenommen worden ist. Franziska Schink hat bereits spannende Projekte gemacht und benötigt die Wohnung als Arbeitsraum und Quartier für die Zeit von Oktober 2019 bis Februar 2020.
Von Themen und Sichtbarkeit
Kem: Über neue Medien haben Künstlerinnen noch zusätzliche Möglichkeiten, sich und ihre Arbeit bekannt zu machen und diese auch für ihre Kunst zu nutzen. Wie schätzt du die Bedeutung dieser Medien für die Kunst ein?
MG: Der Begriff der neuen Medien ist im Bereich der Kunst bereits ein veralteter Begriff. Ich nehme wahr, dass sehr viele KünstlerInnen wieder zurück gehen auf Arbeiten mit einer haptischen Qualität. In Ausstellungen gibt es gibt wieder viele Skulpturen und Malerei zu sehen und ich habe den Eindruck, dass es wieder interessant wird, zum Beispiel an der Leinwand zu arbeiten. Wobei die Wahl der Medien ja immer davon abhängt, was ich sichtbar machen möchte. Im ersten Schritt geht es um ein Thema, dass sichtbar gemacht werden soll und dann wird nach einem passendem Medium gesucht, dieses umzusetzen. Bereits an der Kunstuniversität ist die Ausbildung sehr übergreifend angelegt.
Kem: Wie ist deine Einschätzung: kann man als Frau von der eigenen Kunst leben?
MG: Es ist für Männer und Frauen sehr schwierig. Damit man davon leben kann, braucht es entweder entsprechende Projekte mit Budgets oder Verkäufe über Galerien. Ich halte es für sehr wichtig, dass künstlerische Arbeit tatsächlich als Arbeit wahrgenommen wird. In die Arbeiten fließen Zeit, Energie und geistige Ressourcen und dies muss auch bezahlt werden. Vielleicht müssen Frauen noch selbstbewusster und fordernder auftreten und mit einer gewissen Sturheit und Regelmäßigkeit die eigene Arbeit konsequent verfolgen. Wenn man als Künstlerin erfolgreich sein will, muss man sicher sehr fleißig sein und laufend produzieren. Künstlerische Arbeit setzt sich aus zwei Teilen zusammen: Arbeiten zu produzieren und diese dann auch sichtbar zu machen. Und gerade für das Sichtbarmachen bleiben oft zu wenig Zeit und Ressourcen über. Gerade wenn Frauen für ihren Lebensunterhalt in der Lehre tätig sind und sich dort engagieren. Es ist ja schon eine große Leistung für sich, auf einer Kunstuniversität aufgenommen zu werden. Oftmals kommen auf mehr als 100 Bewerbungen dann fünf Plätze in einer Klasse. Nach der Absolvierung des Studiums kommt dann der wirtschaftliche Aspekt dazu: von der eigenen künstlerischen Arbeit leben zu können.
Ein Wunsch
Kem: Anlass für das Gespräch ist ein Geburtstag: 50 Jahre Haus der Frau. Gibt es etwas, dass du dem Haus mit auf den Weg in die Zukunft geben möchtest?
MG: Auf jeden Fall soll das Haus der Frau den eingeschlagenen Weg fortsetzen: als Haus der Frau eine Schnittstelle zur Gesellschaft zu sein. Aktuelle Themen sollen aufgegriffen werden und wichtig ist, als Bildungshaus verschiedene soziale Schichten anzusprechen. Ich nehme viele Frauen wahr, auch aus anderen Kulturen, die sehr zurückgezogen leben. Ich fände es spannend, diese Frauen anzusprechen und einzubinden. Die Lage und die lange Geschichte des Hauses sind ein großes Potential, das genutzt werden kann.