Wir gedenken dieser Tage der Geburtsstunde der zweiten Republik Österreich. In den Trümmern des Weltkriegs trafen sich die Politiker zu den ersten Besprechungen zum Neuanfang. Sie werden vermutlich nichts vom US-Amerikanischen Theologen Reinhold Niebur (1892-1971) gewusst haben, der während des zweiten Weltkriegs (1941/42) jene berühmten (und später zum Gebet ergänzten) Zeilen formuliert hat, die ich in diesen Tagen häufig meditiere:
Gott, gib mir die Gelassenheit, Dinge hinzunehmen, die ich nicht ändern kann,
den Mut, Dinge zu ändern, die ich ändern kann,
und die Weisheit, das eine vom anderen zu unterscheiden.
Einen Tag nach dem anderen zu leben,
einen Moment nach dem anderen zu genießen.
Entbehrung als einen Weg zum Frieden zu akzeptieren,
sie anzunehmen, wie Jesus es tat:
diese sündige Welt, wie sie ist,
und nicht, wie ich sie gern hätte,
zu vertrauen, dass Du alles richtig machen wirst,
wenn ich mich Deinem Willen hingebe,
sodass ich in diesem Leben ziemlich glücklich sein möge
und im nächsten Leben für immer überglücklich.
Amen.
Tugend der Gelassenheit
Geduld und Durchhaltevermögen waren es, die uns in den vergangenen Wochen oft abverlangt wurden. Mantraartig, wie eine Beschwörungsformel: Bleib zu Hause, Halte Distanz, Schütze andere, indem du dich schützt! Ich stelle zu diesen wichtigen Tugenden der Gegenwart die altmodische Tugend der Gelassenheit. Als Meister Eckhart (1260-1328) seine Mystik der Gelassenheit (gelazenheit) entwickelte, hatte er kein billiges Loslassen im Blick, um sich mit Schwierigem und Unangenehmen nicht beschäftigen zu müssen. Gelassene Menschen sind aktiv, tätig, umsichtig und wach. Sie finden ihre Kraft und Stärke darin, nicht für sich selbst zu wollen.
Gelassenheit bedeutet zuerst, dass ich mich einlasse auf die Welt wie sie ist. Mit Corona und Trockenheit, Streitereien und der auf den Kopf fallenden Decke, Arbeits- und Geldsorgen, Ängsten und Einsamkeit. Mit freudigen Überraschungen und Humor, Liebe und Zärtlichkeit, lauen Abenden und Morgenrot, freundlichen Blicken und Nachbarschaftshilfe.
Gelassen zu sein ermutigt uns, diese Erfahrungen nicht festhalten zu wollen. Sie fordert uns auf, mit neugierigem, wachsamen Blick, die nächste Wendung unseres Lebens zu erwarten.
In diesem Sinn hoffe ich, bald vielen gelassenen Mitmenschen zu begegnen.
Wolfgang Schönleitner
Abteilungleiter und KMB-Diözesanreferent
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