Jägerstätter, Franz (Carracciolo) (1907–1943), Wehrdienstverweigerer und Bauer

Jägerstätter Franz (Carracciolo), Wehrdienstverweigerer und Bauer. Geb. St. Radegund (Oberösterreich), 20. 5. 1907; gest. Brandenburg an der Havel, Deutsches Reich (D), 9. 8. 1943 (hingerichtet); röm.-kath. Unehelicher Sohn des Knechts Franz Bachmeier und der Dienstmagd Rosalia Huber, ab 1917 verheiratete Jägerstätter, Adoptivsohn des Bauern Heinrich Jägerstätter (gest. 1933), Vater einer unehelichen und dreier ehelicher Töchter; ab 1936 verheiratet mit Franziska Jägerstätter, geb. Schwanninger (geb. Hochburg, Oberösterreich, 4. 3. 1913; gest. St. Radegund, 16. 3. 2013). – J. wirkte in seiner Jugend an den Passionsspielen in St. Radegund mit. 1927–31 arbeitete er im steirischen Eisenerz, nach dem Tod seines Stiefvaters übernahm er dessen Hof. J. bezog die Motivation zur späteren Wehrdienstverweigerung aus seinem katholischen Glauben, der am Kathechismus, am Ultramontanismus und an der Lektüre neutestamentlicher Schriften orientiert war. Bei der Abstimmung zum „Anschluss“ Österreichs 1938 stimmte er als Einziger im Ort mit Nein, seine Stimme wurde von den lokalen Behörden jedoch nicht weitergeleitet. Im Juni 1940 wurde J. zum ersten Mal zum aktiven Wehrdienst eingezogen, in Braunau auf →Adolf Hitler vereidigt, aber nach wenigen Tagen auf Initiative des Bürgermeisters unabkömmlich gestellt. Ab Oktober 1940 erfolgte in der Alpenjägerkaserne in Enns J.s Ausbildung zum Kraftfahrer. Ebenfalls in Enns wurde er im Dezember des Jahres in den Dritten Orden des Hl. Franziskus aufgenommen. Nach der Abrüstung Anfang April 1941 bekundete J. seinen Entschluss, einer weiteren Einberufung nicht mehr Folge zu leisten. Er konsultierte Priester und stand in Briefverkehr mit Verwandten, Nachbarn und Frontsoldaten. In Heften und auf losen Blättern hielt er seine religiösen und politischen Überzeugungen fest. So berief er sich auf kirchliche Aussagen über die Unvereinbarkeit von Kirche und Nationalsozialismus und beurteilte den Krieg der Nationalsozialisten gemäß der traditionellen Lehre vom gerechten Krieg als ungerecht. Ein Abwälzen der Verantwortung auf die weltliche sowie kirchliche Obrigkeit lehnte er unter Verweis auf das persönliche Gewissen ab. Auch der Linzer Bischof →Joseph Calasanz Fließer mahnte ihn in einer Unterredung, wie alle anderen den Wehrdienst zu leisten. Im Sommer 1941 übernahm J. das Amt des Mesners. Er weigerte sich, für die Partei zu spenden und Geld vom NS-Staat (Kinderbeihilfe) anzunehmen. Gleichzeitig unterstützte er bedürftige Menschen in seiner Umgebung, ebenso stellte er sich in der Pfarre für das Kassieren der neu eingeführten Kirchensteuer zur Verfügung. Im Februar 1943 erhielt J. den Einberufungsbefehl; er stellte sich Anfang März der Militärbehörde in Enns und sprach seine Verweigerung aus. Man überstellte ihn umgehend in das Wehrmachtsuntersuchungsgefängnis Linz, von wo er im Mai in das Wehrmachtsuntersuchungsgefängnis Berlin-Tegel verlegt wurde. Anfang Juli verurteilte ihn das Reichskriegsgericht wegen Zersetzung der Wehrkraft zum Tode. Dem Ansuchen J.s, zum Sanitätsdienst zugelassen zu werden, gab das Gericht nicht statt. Wenig später kam es auf Initiative seines Pflichtverteidigers Friedrich L. Feldmann zu einer letzten Begegnung mit seiner Frau in Berlin-Tegel. Der gemeinsame Besuch mit Vikar Ferdinand Fürthauer sollte J. dazu bewegen, seine Wehrdienstverweigerung rückgängig zu machen, um damit eine Aufhebung des Urteils zu erwirken. Der Fall J. führte innerhalb der österreichischen Gesellschaft und Kirche über Jahrzehnte zu polarisierten Debatten, gelangte durch die Rezeption in Film, Theater und Kunst aber auch zu großer Bekanntheit. Papst Benedikt XVI. sprach J. im Oktober 2007 in Rom selig. J.s Nachlass befindet sich seit 2018 im Besitz der Diözese Linz.

L.: G. C. Zahn, In solitary witness. The life and death of F. J., 1964 (mit Bild); E. Putz, F. J. „… besser die Hände als der Wille gefesselt …“, 1997 (mit Bild); F. J. Der gesamte Briefwechsel mit Franziska, ed. E. Putz, 2007 (mit Bild); Homepage des Franz und Franziska Jägerstätter Instituts der Katholischen Privatuniversität Linz (mit Bild, Zugriff 30. 6. 2020).
(A. Schmoller)  
Zuletzt aktualisiert: 15.12.2020  
PUBLIKATION: ÖBL Online-Edition, Lfg. 9 (15.12.2020)