„Der Angeklagte wird wegen Zersetzung der Wehrkraft zum Tode sowie zum Verlust der Wehrwürdigkeit und der bürgerlichen Ehrenrechte verurteilt.“1 Mit diesem Urteilsspruch wurde Franz Jägerstätter, wie viele andere Wehrdienstverweigerer, während der NS-Zeit zum Tode verurteilt. Doch auf welchen Rechtsgrundlagen basierte die Verurteilung jener Personen, die sich aus den unterschiedlichsten Gründen weigerten, den Wehrdienst zu leisten? Diese Frage bildet den forschungsleitenden Rahmen des folgenden Beitrags. Dabei wird einleitend auf die Wiedereinführung der Militärgerichtsbarkeit und Wehrpflicht in Deutschland wie auch in Österreich Bezug genommen, welche die Voraussetzungen für die Bestrafung von Verweigerungshandlungen bildeten. Es wird aufgezeigt, wie das Militärstrafgesetzbuch (MStGB) an die Bedürfnisse des NS-Staates angepasst und neue Tatbestände – wie Fahnenflucht oder Wehrdienstverweigerung – in den Rechtsbestand eingingen. Wie hat sich die Praxis der Wehrmachtsjustiz mit Beginn und im Verlauf des Zweiten Weltkriegs geändert, welche Ziele wurden mit der Urteilssprechung verfolgt und welche Auswirkungen hatte dies auf Personen, die wegen Wehrdienstverweigerung angeklagt waren? Das sind zentrale Fragen denen in diesem Blogbeitrag nachgegangen werden. Weiters rücken die Verfahrenspraxis, das Reichskriegsgericht (RKG) mit deren Richtern und Gerichtsherren sowie die Urteilssprechung und deren Vollstreckung in den Fokus.
Der hier vorgestellte Beitrag ist Teil eines größeren Forschungsprojektes der Autorin zum Thema „Das Urteil Franz Jägerstätters im Spiegel der NS-Militärgerichtsbarkeit“, das dazu beitragen soll, die Wehrdienstverweigerung Jägerstätters präzise zu verorten. Damit können immer wieder auftauchende Fragen und Missverständnisse zur Wehrdienstverweigerung Jägerstätters ausgeräumt werden. Darüber hinaus sind von einer detaillierten Analyse des Falles Jägerstätter vor dem RKG in Berlin auch vertiefende Erkenntnisse zur NS-Militärjustiz, zum Gerichtsprozess sowie den beteiligten Richtern und Juristen, zu den Haftbedingungen und der religiösen Betreuung im Wehrmachtsuntersuchungsgefängnis Berlin-Tegel sowie zur Vollstreckung der Todesurteile zu erwarten. 

NS-Militärjustiz

Mit der Machtübernahme der NSDAP in Deutschland erfolgte am 1.1.1934 die Wiedereinführung der Militärgerichtsbarkeit. Im Gegensatz zur Praxis der Militärgerichte im Ersten Weltkrieg sollte sich diese durch eine harte Urteilssprechung, Schnelligkeit in der Verfahrensführung und durch einen Fokus auf militärische Interessen auszeichnen.2 Im Zuge der Vorbereitungen auf den Zweiten Weltkrieg wurde auch die allgemeine Wehrpflicht mit dem Gesetz für den Aufbau der Wehrmacht vom 16.3.1935 und dem Wehrgesetz vom 21.5.1935 wieder eingeführt bzw. konkretisiert.3 Damit war jeder deutsche Mann zwischen 18 und 45 Jahren zum Dienst in der Wehrmacht – anfänglich für ein Jahr und ab 1938 für zwei Jahre – verpflichtet, der als „Ehrendienst am Deutschen Volke“propagiert wurde. Die Möglichkeit zum waffenlosen Dienst, wie wir ihn heute kennen, bestand nicht.5 
Die Erfassung von wehrpflichtigen Personen erfolgte durch die Wehrmeldeämter sowie die übergeordneten Wehrbezirkskommandos, die mit örtlichen Polizeidienststellen oder Standesämtern kooperierten.6 Am Stellungstag war folgender „Fahneneid“ zu leisten: „Ich schwöre bei Gott diesen heiligen Eid, dass ich dem Führer des Deutschen Reiches und Volkes, Adolf Hitler, dem Oberbefehlshaber der Wehrmacht, unbedingten Gehorsam leisten und als tapferer Soldat bereit sein will, jederzeit für diesen Eid mein Leben einzusetzen.“7  
Laut Wehrgesetz bestanden lediglich zwei Ausnahmen von der Wehrpflicht. Dies betraf einerseits Personen, die von einem Sanitätsoffizier oder von der Wehrmacht beauftragten Arzt als untauglich eingestuft wurden. Anderseits waren römisch-katholische Priester, die zum Subdiakonat geweiht waren und einen eigenen Pfarrbezirk hatten, von der Wehrpflicht ausgenommen.8  

Auch in Österreich wurde nach dem Ersten Weltkrieg die Militärjustiz abgeschafft bzw. auf den Kriegsfall beschränkt. Damit unterstanden Soldaten in der Ersten Republik der zivilen Strafjustiz, die man um Sonderbestimmungen für aktive Heeresmitglieder ergänzte. Zur Zeit des „Austrofaschismus“ führte das Regime ab 1933 die Militärgerichtsbarkeit einschließlich des Standrechts samt Todesstrafe wieder ein – zu einem ähnlichen Zeitpunkt wie in Deutschland. Straftaten wie Hochverrat, Mord, Totschlag, öffentliche Gewalttaten, Körperverletzung oder Militärverbrechen wie Sprengstoffverbrechen, Verletzungen der Dienst- oder Standespflichten oder Hilfe für Deserteure, die im Zusammenhang mit dem sogenannten Juliputsch 1934 der Nationalsozialsten9 standen, fielen unter die Zuständigkeit des Militärgerichtshofs. Mit dem „Anschluss“ 1938 an das „Deutsche Reich“ erlangten alle diesbezüglichen deutschen Gesetze und Verordnungen auch in Österreich Gültigkeit.10 Damit wurde der österreichische Normbestand zur Gänze durch den deutschen ersetzt und mit der Eingliederung des Militärs in die deutsche Wehrmacht die Struktur der Wehrmachtsjustiz übernommen.11  

Tatbestand Kriegsdienstverweigerung 

Erst mit der Wiedereinführung der Wehrpflicht und Militärjustiz wurde die Frage nach der Wehrdienstverweigerung schlagend. Einberufene Personen waren ab dem Tag der Stellung Soldaten und unterlagen damit den Gesetzen und der Zuständigkeit der NS-Militärjustiz, deren Grundlage das aus dem Jahr 1872 stammende Militärstrafgesetzbuch (MStGB)12 bildete. Da dieses weder die Verweigerung des „Fahneneides“ noch des Kriegsdienstes enthielt, wurde das MStGB bis zum Kriegsausbruch schrittweise an die neuen Verhältnisse angepasst und um die Paragraphen Fahnenflucht und Gehorsamsverweigerung ergänzt.13 Gewissensentscheidungen oder religiöse Gründe fanden bei der Strafbarkeit keine Berücksichtigung.14   
Anfänglich kamen die Strafbestimmungen für Fahnenflucht auch bei Kriegsdienstverweigerern zur Anwendung. Vor Kriegsbeginn waren die Strafen dafür einige Monate bis zu zwei Jahren Gefängnis und bei Wiederholung zwischen ein und fünf Jahren Haft. Mit Kriegsbeginn änderte sich die Rechtsprechung. Am 26.8.1939 traten die Verordnung über das Sonderstrafrecht im Kriege (KSSVO) – die Anwendungsvorschriften zum bestehenden Militärstrafrecht beinhaltete – sowie die Kriegsstrafverfahrensordnung (KStVO) – die Zuständigkeiten und Abläufe der Verfahren regelte – in Kraft. Alle Verfahren der NS-Militärjustiz basierten von nun an auf diesen Verordnungen, die sofern militärische Belange betroffen waren, auf alle Personen – Frauen und Männer – unabhängig ihrer Zugehörigkeit zur Wehrmacht angewandt werden konnte. Zentrale Elemente der Verordnungen waren, dass es nur mehr eine Instanz, die Feldgerichte (vormals Kriegsgerichte) und für besonders schwere Fälle das RKG, welches 1936 in Berlin gegründet wurde, gab. Zudem sollte eine Verfahrensbeschleunigung erfolgen, indem die Berufungs- und Revisionsmöglichkeit abgeschafft und das Recht auf einen Verteidiger nur bei Verfahren vor dem RKG bestand. Der neu enthaltene Straftatbestand der Wehrkraftzersetzung machte es ab diesem Zeitpunkt möglich, alle Handlungen, die der Kriegsführung entgegenstanden, hart zu bestrafen. Damit wurde ein Generaltatbestand geschaffen, womit die NS-Militärjustiz unbegrenzte Möglichkeiten hatte, gegen innere sowie äußere Regimegegner*innen vorzugehen, um die Solidarität in der Bevölkerung mit der Wehrmachtsführung und den Kriegszielen sicherzustellen.15 
Mit der KSSVO und der KStVO führte das NS-Regime ein neues Verfahren- und Organisationsrecht ein, nahm neue Tatbestände auf und passte die Militärjustiz an die nationalsozialistische Rechtsauffassung an.16 Damit schuf man die Rechtsgrundlagen, „die im Kern den terroristischen Charakter der nationalsozialistischen Militärgerichtsbarkeit“17 kennzeichneten. 

Zur Verurteilung von Wehrdienstverweigerern wurde folgender Punkt des §5 der KSSVO herangezogen: „(1) Wegen Zersetzung der Wehrkraft wird mit dem Tode bestraft: 3. wer es unternimmt, sich oder einen anderen durch Selbstverstümmelung, durch ein auf Täuschung berechnetes Mittel oder auf andere Weise der Erfüllung des Wehrdienstes ganz, teilweise oder zeitweise zu entziehen.“18 
Das MStGB bestimmte hierzu im §48 näher, dass, wenn man nach seinem Gewissen oder seiner Religion handelt, nicht von der Strafbarkeit ausgeschlossen war.  Des Weiteren war auch die Strafhöhe von den Umständen – wie etwa Trunkenheit, die Furcht um das eigene Leben oder Alter – unabhängig.19 Argumentiert wurde damit, dass es sich dabei um „die Störung oder Beeinträchtigung der totalen völkischen Einsatzbereitschaft zur Erringung des Endsieges in diesem Kriege“20 handelte. Das Oberkommando des Heeres (OKH) teilte im März 1940 den Wehrmachtsgerichten mit, dass alle Verweigerungshandlungen den Tatbestand der Wehrkraftzersetzung erfüllten, wodurch sich eine Verschärfung des Strafausmaßes ergab und die Wehrkraftzersetzung zu einem Massenphänomen wurde. Mit dem §5a der KSSVO wurde quasi eine Generalvollmacht für eine Ausweitung des Strafmaßes erteilt, da die Überschreitung des Strafmaßes immer dann erfolgen konnte, „wenn es die Aufrechterhaltung der Manneszucht oder die Sicherheit der Truppe erforderte.“21 Dadurch konnte in jedem Einzelfall bis zur Todesstrafe geurteilt werden.22 

Grundsätzlich wurde Wehrkraftzersetzung mit dem Tod bestraft, nur in minderschweren Fällen konnte eine Gefängnisstrafe verhängt werden. Als minderschwere Fälle waren nur jene einzustufen, bei denen die Angeklagten die Verweigerung zurückzogen und sich zu jeglicher Form des Wehrdienstes bereit erklärten. In punkto Wehrkraftzersetzung aus religiösen Motiven hielt die NS-Justiz daran fest, dass wegen der propagandistischen Wirkung die Todesstrafe zum Tragen kam, unabhängig davon, ob eine Absicht auf Zersetzung der Wehrkraft vorlag oder nicht. Zentral dabei war, dass die Frage nach dem Schweregrad des Falls immer im nationalsozialistischen Interesse der „Volksgemeinschaft“ und den NS-Kriegszielen definiert und nicht vom Standpunkt des Angeklagten aus behandelt wurde.
Bei Kriegsdienstverweigerern lautete somit der pauschale Urteilsspruch: „Zum Tode, zum dauernden Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte und zum Verlust der Wehrwürdigkeit verurteilt“.23 Daraus geht klar hervor, dass die Beweggründe der Angeklagten keine Berücksichtigung fanden. Die Erhaltung der Kampfkraft und die Disziplinierung der Bevölkerung stellte gemäß dem Totalitätsanspruch des NS-Regimes die zentrale Elemente in der Urteilssprechung dar.24  
Es ist davon auszugehen, dass die Wehrmachtsjustiz insgesamt rund 50.000 Todesurteile verhängte, wovon zwischen 30.000 und 35.000 gegen Angehörige der Wehrmacht gefällt und von diesen zwischen 20.000 und 23.000 vollstreckt wurden.25 Maria Fritsche führt an, dass zwischen 5.000 und 6.000 Urteile wegen Wehrkraftzersetzung erfolgten, zumeist wegen Selbstverstümmelung oder Wehrdienstverweigerung.26 Die Zahlen verurteilter Österreicher, die in der Wehrmacht dienten, beruhen ebenfalls auf Schätzungen. Man kann davon ausgehen, dass ca. 2.660 Österreicher*innen zum Tode verurteilt wurden, davon 456 wegen Wehrkraftzersetzung. Die meisten davon waren Personen, die die Kriegslage negativ beurteilten oder Personen, die aus politischen oder religiösen Gründen verurteilt wurden, wie Wiederstandkämpfer oder Zeugen Jehovas.27 Laut Statistik des RKG wurden vom 26.8.1939 bis zum 7.2.1945 von insgesamt 1.189 Urteilen 251 Todesurteile wegen Zersetzung der Wehrkraft gefällt. Eines davon war gegen Franz Jägerstätter, der im Jahr 1943 eine  von insgesamt 65 Personen war, die wegen Wehrdienstverweigerung hingerichtet wurden.28 
 

Kriegsstrafverfahren vor dem RKG

Laut KStVO musste die Hauptverhandlung der Militärgerichte vor drei bzw. im Verfahren vor dem RKG vor fünf militärischen Richtern stattfinden. Das RKG war nach Kriegsbeginn als erstinstanzliches Gericht für Straftatbestände wie Hochverrat, Landes- und Kriegsverrat und Wehrkraftzersetzung sowie für Verfahren gegen Admiräle oder Generäle zuständig. Auch die Aburteilung von Wehrdienstverweigerern aus religiösen Gründen, die als politischer Widerstand behandelt wurden, fielen in dessen Aufgabenbereich.29  
Während der Verhandlung räumte das Gesetz dem Angeklagten das Recht ein, sich vor Gericht zu verteidigen. Nach der Beweisaufnahme erhielten die Vertreter der Anklage – Verteidiger und Angeklagte – die Möglichkeit zur Verteidigung, wobei dem Angeklagten das letzte Wort zustand. Im Anschluss erfolgte die Urteilsfindung, wobei die Richter nach dem Prinzip der Stimmenmehrheit unter Ausschluss der Öffentlichkeit urteilten. Die Bestätigung des Urteils erfolgte durch den Gerichtsherrn, dem laut KStVO fast uneingeschränkte Macht zukam. Er bestimmte vom Ermittlungsverfahren, über den Zeitpunkt der Verhandlung bis hin zur Urteilsbestätigung alles. Der Gerichtsherr legte auch fest, welche Justizbeamte in den Verfahren als Richter, Ermittlungsführer und Ankläger fungierten und ernannte den Verteidiger. Entscheidend für die Rechtskraft eines Urteils war die Bestätigung durch den Gerichtsherrn. Somit gab es keine Möglichkeit der Revision oder des Einspruchs. Der Gerichtsherr war zugleich Exekutive und Judikative – eine Überschneidung, die dem Prinzip der Gewaltenteilung in Demokratien entgegensteht, da die Möglichkeit eines Verurteilten, den Fall einer höheren Instanz zur Begutachtung vorzulegen, entscheidend für die Sicherung der Grundrechte ist. In der NS-Militärjustiz wurde die Effizienz und Schnelligkeit der Abwicklung von Verfahren den Rechten der Angeklagten den Vorrang gegeben30 – frei nach dem Motto: „Schnelle Justiz – gute Justiz“31.

Die Gerichtsherren waren Kommandeure und Befehlshaber der Wehrmacht, die durch den Chef des OWG oder die Befehlshaber der drei Wehrmachtsteile bestimmt wurden. Der Präsident des RKG war auch in Personalunion der Gerichtsherr. Dabei handelte es sich von 1936 bis September 1939 um den General der Artillerie Walter Heitz, fast die gesamte Kriegszeit hindurch um Admiral Max Bastian, der im November 1944 von General der Infanterie Hans-Karl von Scheele abgelöst wurde.32  
 

Dem Präsidenten des RKG unterstand die Reichskriegsanwaltschaft mit rund 20 Militärjuristen. Die meisten Wehrdienstverweigerer wurden nach der Festnahme in den Wehrmachtsuntersuchungsgefängnissen Berlin-Tegel, Berlin Alt-Moabit bzw. aufgrund der steigenden Luftangriffe auf Berlin ab 1943 in Torgau inhaftiert. In Torgau befanden sich bereits zentrale Haftstätten der Wehrmacht und die beiden Wehrmachtsgefängnisse „Fort-Zinna“ und „Brückenkopf“. Im August 1943 verlegte man auch den Sitz des RKG nach Torgau und die Stadt an der Elbe entwickelte sich zur Drehscheibe des militärischen Gefangenenwesens und zum Zentrum der Wehrmachtsjustiz.33 

Richter des RKG und die Urteilsvollstreckung

Am RKG waren vor allem Richter tätig, die ihre Ausbildung bereits vor 1914 oder in den 1920er Jahren absolvierten und zuvor in der zivilen Justiz tätig waren. Einige hatten bereits Erfahrungen mit der Militärjustiz vor 1933, einige waren Mitglieder der NSDAP oder waren Söhne von Pfarrern und Offizieren. Sie kamen zumeist über die Heeresrechtsabteilung oder die Reichskriegsanwaltschaft zum RKG, welches bis zum Beginn des Zweiten Weltkriegs als Revisionsgericht agierte. Die Richter verfügten bei ihrer Tätigkeit zwar über ein Prüfungsrecht, waren aber den Entscheidungen Hitlers, der NS-Weltanschauung und dem Parteiprogramm der NSDAP in ihrer Urteilssprechung unterworfen.34 Es ging nicht darum „die Wahrheit an sich zu suchen, die es nicht gebe; vielmehr gehe es darum ‚im Rahmen der Gemeinschaft‘ in die der Richter gestellt sei, mit den Mitteln des Rechts diese Gemeinschaft zu erhalten.“35 Nach Kriegsende wurden keine der für die Wehrmacht tätigen Juristen von den Alliierten verurteilt. Wehrmachtsrichter waren in der Bundesrepublik Deutschland vielfach weiterhin als Juristen im Staatsdienst tätig oder bekleideten hohe Positionen in der Verwaltung, Justiz oder im Verteidigungsministerium. In der Nachkriegsgesellschaft wurde die Praxis der Todesurteile der Wehrmachtsjustiz lange Zeit nicht in Frage gestellt.36  
Die meisten der vom RKG gefällten Todesurteile wurden durch Enthauptung vollstreckt. Bis August 1940 fanden die Hinrichtungen in der Haftanstalt Berlin-Plötzensee37 statt, ab dann im Zuchthaus Brandenburg-Görden. Hinrichtungen in den Richtstätten erfolgten fast wie im Akkord und Einzelvollstreckungen wurden aus Kostengründen kaum vorgenommen. Zudem sollten zum Tode verurteile Personen erst kurz vor der Vollstreckung des Urteils in den Richtstätten eintreffen. Ein Gefängnispfarrer aus dem Untersuchungsgefängnis Dortmund beschrieb die Hinrichtungspraxis38: „Der Verurteilte hatte sich an ein hochgeklapptes, am Kopfende ausgekehltes Brett zu stellen. Ehe er sich besinnen konnte, warfen ihn die Henkersknechte auf das Brett, das in einem Scharnier befestigt war und um 90 Grad umschlug (…) In der selben Sekunde drückte der Scharfrichter auf den Knopf. Das Fallbeil sauste herab, der Kopf des Verurteilten flog in einen bereitgestellten Weidenkorb. Der Blutverlust war ungeheuer, die Beine des Sterbenden zuckten jedesmal so zusammen, daß die Holzpantinen im weiten Bogen fortgeschleudert wurden.“39 
 

Conclusio

Zusammenfassend kann festgestellt werden, dass für die NS-Militärjustiz die Beschleunigung der Verfahren, der Abbau formaljuristischer Abläufe sowie die Einschränkung von Rechten der Angeklagten kennzeichnend waren. Recht und Urteilsfindung basierten nicht auf einer Unabhängigkeit der Justiz, sondern waren ideologisch vom NS-Regime und dessen Totalitätsanspruch durchdrungen. Im Sinne der NS-Kriegsführung war die Rechtssprechung ein Instrument, den Erhalt der Kampfkraft und die Disziplinierung der Bevölkerung sicher zu stellen. Dies erklärt auch die teilweise unverhältnismäßig hohen Strafen, die vor allem eine abschreckende Wirkung haben sollten. Infolge der personellen Besetzungen und der institutionellen Überformung der Wehrmachtsjustiz kam es laut Rass und Rohrkamp zu einer Verinnerlichung der Elemente des Nationalsozialismus im Laufe des Zweiten Weltkriegs, was auch zu einer zunehmenden Radikalisierung der NS-Militärgerichtsbarkeit führte.40 Die NS-Militärjustiz war fest in die Strukturen des NS-Systems eingebunden, wurde zu einer wichtigen Stütze des NS-Regimes und diente letztendlich als „regimestabilisierendes Terrorinstrument“41. Die Geschichte der Wehrmachtsjustiz gilt als eines der dunkelsten Kapitel der Justizgeschichte. Das eingangs beschriebene Forschungsprojekt soll nicht nur zu einem besseren Verständnis der Wehrdienstverweigerung von Franz Jägerstätter führen, sondern auch dazu beitragen die Funktion und Bedeutung der NS-Militärgerichtsbarkeit im Umgang mit Wehrdienstverweigerern anhand einer Einzelfallanalyse aufzuarbeiten.
 

Anmerkungen

1 DAL, Franz Jägerstätter, Fasz. 1, Feldurteil.

2 Siehe etwa: Manfred Messerschmidt, Die Wehrmachtsjustiz 1933-1945, Paderborn 2005, S. 43f.

3 Gesetz für den Aufbau der Wehrmacht 16.3.1935, www.documentarchiv.de/ns.html und Wehrgesetz 16.3.1935, www.documentarchiv.de/ns/1935/wehrgesetz.html (eingesehen am 11.12.2020).4 §1 Wehrgesetz 16.3.1935, www.documentarchiv.de/ns/1935/wehrgesetz.html (eingesehen am 11.12.2020).

5 In Österreich besteht seit 1975 die Möglichkeit, Zivildienst zu leisten.

6 Markus Herrberger, Zeugen Jehovas als Kriegsdienstverweigerer in der NS-Zeit (1939-1945), in: Herrberger, Markus (Hg.), Denn es steht geschrieben: „Du sollst nicht töten“! Die Verfolgung religiöser Kriegsdienstverweigerer unter dem NS-Regime mit besonderer Berücksichtigung der Zeugen Jehovas (1939-1945) (Schriftenreihe Colloquium Bd. 12), Wien 2005, S. 61-237, S. 89.

7 RGbl. I, 1935, S.1035.

8 § 14 Wehrgesetz 16.3.1935, www.documentarchiv.de/ns/1935/wehrgesetz.html (eingesehen am 11.12.2020). Siehe dazu: Heinrich Kreutzberg, Franz Reinisch – ein Märtyrer unserer Zeit, Limburg an der Lahn 1953.

9 Am 25. Juli kam es zu einem Überfall des Bundeskanzleramtes von als Soldaten verkleideten SS-Leuten, wobei Bundeskanzler Engelbert Dollfuß von zwei Schüssen tödlich getroffen wurde. Der Putschversuch wurde unter Einsatz des Bundesheeres niedergeschlagen und 13 Putschisten hingerichtet sowie rund 4.000 Aufständische in sogenannte Anhaltelager gebracht. 

10 Verordnung über die Einführung des Wehrmachtstrafrechts in Österreich vom 12.5.1938 (dRGBl. I 135/1938) sowie die Verordnung über die Einführung des Wehrmachtstrafrechts in der Ostmark vom 28.6.1939 (RGBl I 127/1939)

11 Siehe etwa: Martin Moll, Militärgerichtsbarkeit in Österreich (circa 1850-1945) in: Beiträge zur Rechtsgeschichte Österreichs 2016, S. 334-339.

12 MStGB, de.wikisource.org/wiki/Milit%C3%A4r-Strafgesetzbuch_f%C3%BCr_das_Deutsche_Reich (eingesehen am 11.12.2020)

13 Für den größten Teil des Zweiten Weltkriegs war jene Fassung, die am 10.10.1940 in Kraft trat, gültig. Diese stellte eine radikale Verschärfung der Strafnormen dar. Moll,Militärgerichtsbarkeit, S. 338.

14 Herrberger, Zeugen Jehovas, S. 82-84; Moll, Militärgerichtsbarkeit, S. 339f.

15 Siehe etwa: Detlef Garbe, „Du sollst nicht töten“. Kriegsdienstverweigerer 1939-1945, in: Norbert Haase/Gerhard Paul (Hg.), Die anderen Soldaten, 2. Aufl. Frankfurt a.M. 1997, S. 85-104, S. 87f; Albrecht Kirschner, „Zur Sicherung der Wehrmacht und des Kriegszwecks…“ Funktionieren und Funktion der NS-Militärjustiz, in: Thomas Geldmacher u.a. (Hg.), „Da machen wir nicht mehr mit …“ Österreichische Soldaten und Zivilisten vor Gerichten der Wehrmacht, Wien 2010, S. 12-22, S. 13f.

16 Manfred Messerschmidt, Das System Wehrmachtjustiz. Aufgaben und Wirken der deutschen Kriegsgerichte, in: Ulrich Baumann/Magnus Koch, „Was damals Recht war…“ Soldaten und Zivilisten vor Gerichten der Wehrmacht, Berlin 2008, S. 27-43, S. 27.

17 Walter Manoschek, Die nationalsozialistische Militärjustiz als Terrorinstrument gegen innere und äußere Gegner, in: Walter Manoschek, Opfer der NS-Militärjustiz. Urteilspraxis – Strafvollzug - Entschädigungspolitik, S. 16-27, S. 20.

18 www.lexexakt.de/index.php/glossar/kssvo05.php (eingesehen am 22.12.2020)

19 Messerschmidt, Wehrmachtsjustiz 1933-1945, S. 96; Thomas Walter, „Schnelle Justiz – gute Justiz“? Die NS-Militärjustiz als Instrument des Terrors, in: Walter Manoschek, Opfer der NS-Militärjustiz. Urteilspraxis – Strafvollzug - Entschädigungspolitik, S. 27-53, S. 30.

20 Manfred Messerschmidt, Aufhebung des Todesurteils gegen Franz Jägerstätter, in: Kritische Justiz Jg. 31(1998), Heft 1, S. 99-105, S. 100.

21 Erste VO zur Ergänzung der KSSVO, 1.11.1939, RGBl. 1939 I, S. 2132.

22 Dieser Absatz wurde 1943 dahingehend ergänzt, dass eine Todesstrafe möglich ist, wenn das reguläre Strafmaß nach „gesundem Volksempfinden zur Sühne nicht ausreicht“. Manoschek, nationalsozialistische Militärjustiz, S. 19.

23 Garbe, Du sollst nicht töten, S. 89.

24 Siehe etwa: Herrberger, Zeugen Jehovas, S.113-115; Messerschmidt, Wehrmachtsjustiz 1933-1945, S. 97-108; Garbe, Du sollst nicht töten, S. 96.

25 Messerschmidt führt eine Gesamtzahl an Todesurteilen von 25.000 bis 30.000 an, ohne Kriegsgefangene und Zivilisten. Messerschmidt, Das System der Wehrmachtjustiz, S. 32.

26 Maria Fritsche, Entziehungen. Österreichische Deserteure und Selbstverstümmler in der Deutschen Wehrmacht, Wien 2004, S. 23-25. 

27 Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes (Hg), NS-Militärjustiz: „Aufrechterhaltung der Manneszucht“ 218 (Oktober 2014), www.doew.at/cms/download/6kqmt/218-1.pdf (eingesehen am 22.12.2020)

28 Norbert Haase, Das Reichskriegsgericht und der Wiederstand gegen die nationalsozialistische Herrschaft. Katalog zur Sonderausstellung, Berlin 1993, S. 13; Thomas Walter, „Schnelle Justiz – gute Justiz“?, S. 43; Messerschmidt, Das System der Wehrmachtjustiz, S. 33.

29 Für andere Gerichte stellten Entscheidungen des RKG bindendes Recht dar. Thomas Walter, „Schnelle Justiz – gute Justiz“?, S. 43.

Bei der Aburteilung von WKZ-Delikten erlangte das mit Erlass vom 11.4.1944 gegründete Zentralgerichtes des Heeres Bedeutung und die Zuständigkeit für Verfahren gegen WDV lag nicht mehr ausschließlich beim RKG. (Siehe etwa: Messerschmidt, Wehrmachtsjustiz 1933-1945, S. 95, 98; Thomas Walter, „Schnelle Justiz – gute Justiz“?, S. 27, 42f.) Anfang September 1944 verfügte das Oberkommando der Wehrmacht eine Regelung, dass alle Verweigerungsfälle ab diesem Zeitpunkt von den Feldgerichten bei den Wehrmachtskommandanturen oder den betreffenden Divisionen abgeurteilt werden. Mit einem Merkblatt „Richtlinien für Strafverfahren gegen ernste Bibelforscher usw.“ sollte die Einheitlichkeit der Urteile sichergestellt werden (Garbe, Du sollst nicht töten, S. 101f).

30 siehe etwa: Herrberger, Zeugen Jehovas, S. 102f; Detlef Garbe, Abschreckungsjustiz im Dienst der Kriegsführung, in: Peter Pirker/Florian Wenninger (Hg.), Wehrmachtsjustiz. Kontext, Praxis, Nachwirkungen, Wien 2011, S.29-47, S. 33; Messerschmidt, Wehrmachtsjustiz 1933-1945, S. 44-47; 74.

31 Thomas Walter, „Schnelle Justiz – gute Justiz“?, S. 46.

32 Messerschmidt, Wehrmachtsjustiz 1933-1945, S. 95.

33 Herrberger, Zeugen Jehovas, S. 109f; Haase, Reichkriegsgericht, S. 17.

34 Messerschmidt, Wehrmachtsjustiz 1933-1945, S. 49, 54f.

35 ebda, S. 55.

36 Jürgen Thomas, „Nur das ist für die Truppe Recht, was ihr nützt…“. Die Wehrmachtjustiz im Zweiten Weltkrieg, in: Norbert Haase/Gerhard Paul, Die anderen Soldaten. Wehrkraftzersetzung, Gehorsamsverweigerung und Fahnenflucht im Zeiten Weltkrieg, Frankfurt am Main 1995, S. 37-50, S. 48; Wolfram Wette, Frühe Selbstentlastung der Wehrmachtrichter – späte Rehabilitierung ihrer ihrer Opfer, in: Mit reinem Gewissen. Wehrmachtrichter in der BRD und ihre Opfer, Wien 2011, S. 81-98, S. 84.

37 Ab diesem Zeitpunkt wurden in Berlin-Plötzensee vorwiegend Urteile der zivilen Justiz – des Volksgerichtshofs und des Kammergerichts Berlin – vollstreckt. 

38 Vollstreckungen mit dem Fallbeil fanden nur innerhalb des Deutschen Reiches statt, in den besetzten Gebieten wurden Erhängungen durchgeführt. Hans-Peter Klausch, Erschießen – Enthaupten – Erhängen, in: Ulrich Baumann/Magnus Koch (Hg.), „Was damals Recht war… Soldaten und Zivilisten vor Gerichten der Wehrmacht, S. 79-95, S. 92.

39 ebda, S. 90.

40 Christioph Rass, Rene Rohrkamp, Dramatis Personae. Die Akteure der Wehrmachtjustiz, in: Ulrich Baumann/Magnus Koch (Hg.), „Was damals Recht war… Soldaten und Zivilisten vor Gerichten der Wehrmacht, S. 95-113, S. 111.

41 Moll, Militärgerichtsbarkeit, S. 341.

 

Zitation

Lorber, Verena. "Wehrdienstverweigerung im Kontext der NS-Militärjustiz" Franz und Franziska Jägerstätter Institut, 15.2.2021. https://ku-linz.at/forschung/franz_und_franziska_jaegerstaetter_institut/forschungsblog/artikel/wehrdienstverweigerung-im-kontext-der-ns-militaerjustiz