Donnerstag 28. März 2024

"Gott sei Dank: Können wir das Gute (noch) sehen?"

Sozialpredigt zum 28. Sonntag (13. Oktober 2019) im JK,  LJ C

 

Autorin: Katrin Pointner, BA, Referentin in der Abteilung Gesellschaft & Theologie

Ich möchte heute mit einer Geschichte beginnen.
Eines Tages geht ein Mann eine Straße entlang. Er ist traurig, verbittert, im Selbstmitleid versunken. Er hat gerade eine Trennung hinter sich. Vor ein paar Tagen musste er die ehemalige gemeinsame Wohnung verlassen und lebt nun in einem noblen Appartement in München. Dieser Mann geht also die Straße entlang und seine Gedanken sind in etwa folgende: „Warum musste das mir passieren? Jetzt muss ich abends ganz alleine ins Restaurant gehen. Ich werde in eine kleinere Wohnung umziehen müssen. Es ist SO ungerecht!“ Genau in dem Moment, als er gerade diesen Gedanken hat, läuft eine Frau an ihm vorbei. Sie ist unscheinbar gekleidet, doch fällt sie inmitten der edlen Boutiquen und umringt von Handtaschen tragenden, gemütlich schlendernden Menschen auf. Sie trägt ein Baby auf dem Arm, an der anderen Hand führt sie ein kleines Mädchen, kaum 3 Jahre alt. Ihre Kleider sind voller Flecken und Löcher, an den Füßen trägt sie abgewetzte Sandalen. Sie wirkt gehetzt und spricht in einer fremden Sprache mit ihren Kindern. „Sie ist vermutlich unterwegs in die nahe gelegene Unterkunft für AsylwerberInnen.“, denkt der Mann beiläufig. Doch plötzlich traf ihn eine Erkenntnis wie ein Schlag. Wie kam ER dazu sich selbst zu bemitleiden? Es gibt Menschen, die ihre Frau nicht durch eine Trennung, sondern durch Krieg und Waffengewalt verlieren. 

 

 


Menschen, die ihre Kinder verlieren, die alles verlieren, woran sie je ihr Herz gehängt haben. Er hingegen hatte zwei gesunde Kinder, denen es an nichts mangelte, ein volles Bankkonto, ein schickes Appartement und einen Job, der sicher, gut bezahlt und interessant ist. Er hat Freunde und Hobbies und führt ein quasi sorgenfreies Leben. In einem Land, das sicher ist und frei. Ja, seine Frau hatte sich von ihm getrennt. Das war durchaus schmerzhaft, doch sein Leben war alles andere als bemitleidenswert. Der Mann schämte sich. Obwohl er kein Wort mit ihr gesprochen und sie ihn nicht einmal bemerkt hatte, hatte ihn diese Begegnung bewegt und ihm die Undankbarkeit, mit der er auf sein Leben schaute vor Augen geführt. Es gibt so viele Menschen, Geschichten und Momente, die das Potential haben uns wachzurütteln. Doch hören wir auf sie? Auf die leisen und lauten Signale, die uns eigentlich nur auf eines hinweisen wollen: Siehst du dein Glück? Und wenn ja, teilst du es?

 

Im Prinzip ist es uns allen mehr oder weniger bewusst: Wir gehören einer Minderheit an. Einer Minderheit, die Zugang zu sauberem Trinkwasser, ein Anrecht auf einen kostenlosen Krankenhausaufenthalt hat und mehr Gegenstände besitzt, als sie im Laufe eines Jahres benutzen könnte. Doch sind wir dankbar dafür?
 
Neun von zehn Menschen, die geheilt werden, vergessen ihre Heilung schnell. Sie waren sich ihrer Krankheit eine lange Zeit bewusst. Doch ihre Heilung, sofern sie bereits eingetroffen ist, wird schnell vergessen. Gleich den neun „Aussätzigen“, die nicht umkehrten und Gott nicht dankten. Es wurde uns geholfen und wir verspüren vielleicht einen kurzen Anflug von Dankbarkeit. Doch schon bald ist die anfängliche Euphorie in Vergessenheit geraten und wir begeben uns wieder in einen Zustand der „Normalität“ hinein. Neun von zehn Menschen kehren nicht um und loben Gott nicht mit lauter Stimme. Wir danken ihm kurz und still nach einem besonders gelungenen Tag oder nach einer ganz besonders guten Nachricht. Doch was passiert nach diesem besonderen Ereignis? Nach unserer ersehnten Heilung, nach der Lösung eines Konfliktes? Was würde passieren, wenn wir Gott bewusst und mit lauter Stimme danken würden? Wie könnte eine Gesellschaft aussehen, die voller Dankbarkeit und im vollen Bewusstsein für Gottes Werke lebt? Vielleicht hätten wir eine Vision für unsere Gemeinschaft, unsere Gesellschaft und unsere Familie. Vielleicht würden wir aufhören einander leichtfertig zu kritisieren und lediglich das Schlechte zu sehen. Dies passiert zum Teil auch in der Politik. Der Gegner oder die Gegnerin werden so lange schlecht geredet, bis die Bürgerinnen und Bürger tatsächlich nichts Gutes mehr sehen können. Jedoch nicht bloß in einer Partei, sondern dieses Vorgehen ist besonders im Wahlkampf bei allen Parteien zu finden. Manchmal entsteht der Eindruck, dass Politiker und Politikerinnen ihre Aufgabe darin sehen, die Missetaten und Verfehlungen anderer aufzudecken, anstatt eine positive Vision des eigenen Weges zu erschaffen und zu verwirklichen. Diese Partei gegen jene Partei, diese Gesinnung gegen jene Gesinnung, arme Menschen gegen wohlhabende Menschen, Nichtregierungsorganisationen gegen die Regierung. 


Was können wir also tun um diesem Kreislauf des Negativen zu entkommen? Zuerst können wir es dem Samariter gleichtun und umkehren. Wir können zurückschauen und all die positiven Dinge sehen und würdigen, die in unserer Gesellschaft passieren und gelingen. Gibt es soziale Organisationen? Hilfsbereite Menschen? PolitikerInnen die ihre Werte leben? Sehen wir das Gute? Und wenn wir es sehen, sind wir dankbar dafür? Für unser sauberes Trinkwasser, für die kostenlose und qualitativ hochwertige Kinderbetreuung, für eines der besten Gesundheitssysteme der Welt   und tausend andere kleine und große Dinge, die uns ein angenehmes und erfülltes Leben ermöglichen. Natürlich hat auch Kritik an bestehenden Problemen seine Richtigkeit und seinen Wert. Doch worauf unsere Aufmerksamkeit gerichtet ist, das wächst. Darum ist eine positive Vision für unser Leben, unsere Gemeinschaft und unser politisches System unerlässlich, wenn wir weiterhin in Frieden miteinander leben wollen.  Wir haben bereits so vieles erreicht, als Gesellschaft, als Menschen, als Gemeinschaft. Doch wenn wir es erreicht haben, sehen wir zurück und sagen: es wäre sowieso passiert und schon ist es selbstverständlich. Doch wagen wir den Versuch es wie der Samariter zu machen und Danke zu sagen. Gott sei Dank.

 

Download Sozialpredigt:

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