Musikphysiologie
Wie ich Musikphysiologie jemandem erklären würde, der noch nie etwas davon gehört hat ...
In der absoluten Kurzform würde ich sagen: „Musikphysiologie umfasst alles, was MusikerInnen beschwerdefrei spielen lässt!“
Etwas offizieller ausgedrückt beinhaltet die Musikphysiologie die Erforschung, Therapie und Prävention instrumenten- bzw. gesangsspezifischer physischer und psychischer Beschwerden.
Die Musikphysiologie ist ein interdisziplinäres Fachgebiet und verbindet MusikerInnen, WissenschaftlerInnen, ÄrztInnen, PhysiotherapeutInnen, PsychologInnen, Lehrende der Körpertechniken und SpezialistInnen aus den Bereichen Ergonomie, Arbeitsschutz und Instrumentenbau.
In der Praxis bedeutet das, das zum Beispiel ein Geiger mit Schulter-Nacken-Schmerzen sich direkt an einen musikphysiologischen Experten wenden kann, der sich mit den besonderen körperlichen Erfordernissen der Geigenhaltung auskennt. So können eine musikerInnenspezifische Therapie und geeignete Übungen mit und ohne Instrument erlernt werden, damit wieder ein schmerzfreies Musizieren möglich ist.
Was mich an der Musikphysiologie besonders fasziniert ...
Ganz klar – die Vielfalt und der direkte Praxisbezug!
Viele MusikerInnen kommen zu mir zur Behandlung und Bewegungsanalyse, wenn Spielprobleme auftreten. Dann ist es mein Job, sie möglichst schnell wieder fit für die Bühne zu machen.
An der Universität hingegen steht der Unterricht in Prävention und effizientem Üben im Vordergrund. Darüber hinaus findet dort auch musikphysiologische Forschung mit hochtechnisierten Messgeräten statt. Meine Arbeitstage sind dadurch nie gleich und es kommt bei so vielen verschiedenen Fragestellung garantiert nie Langweile auf!
Neben der Vielfalt des Fachgebiets fasziniert mich die sofortige praktische Anwendbarkeit vieler Übungen. Wenn man mit einem Musiker eine Übung macht und ihn danach wieder spielen lässt, hört man oft sofort den Unterschied im Klang. Diese direkte akustische Rückmeldung auf eine körperliche Übung finde ich jeden Tag aufs Neue unglaublich spannend!
Welche Übung ich besonders an Herz legen möchte – und warum ...
Um die direkte Auswirkung der Wirbelsäulenaufrichtung auf den Klang am Instrument zu spüren empfehle ich gerne die Übung „Im Gleichgewicht“ aus dem Buch „Musiker in Bewegung. 100 Übungen mit und ohne Instrument“, S. 55 und S. 112:
Auf einem Hocker sitzen, ein Bein anheben und das Knie mit beiden Händen umfassen. Die Ellenbogen sollen dabei gestreckt bleiben, das Bein hängt als Gewicht in den Händen. Nun die Brustwirbelsäule aufrichten, das heißt das Brustbein nach vorne/oben anheben und den oberen Rücken strecken. Die Schulterblätter können dabei nach unten Richtung Gesäßtaschen gezogen werden. Diese Position fünf bis sieben Atemzüge halten, dabei tief in den Bauch atmen.
Man kann sich von dieser Grundposition aus auch mit dem Oberkörper nach vorne und hinten bewegen und dabei vor bzw. hinter die Sitzknochen rollen. Dabei ist es jedoch wichtig, dass der Rücken immer aufgerichtet bleibt, ganz gleich, ob man sich vorne oder hinten befindet.
Direkt nach der Übung das Instrument nehmen und spielen und den klanglichen Unterschied zu vorher spüren und hören!
Weitere Informationen:
www.musik-physio.de
Literatur:
Türk-Espitalier, Alexandra (2008): Musiker in Bewegung. 100 Übungen mit und ohne Instrument. Erzhausen: Zimmermann.
Türk-Espitalier, Alexandra / Fendel, Martin (2006/2012): Gerne will ich mich bequemen. Gesundheitstipps für Kirchenmusiker. 2006. Neuauflage 2012. Bonn/Köln: BAD. (Kostenloser Download der Broschüre)
Spahn, Claudia (2015): Musikergesundheit in der Praxis. Grundlagen, Prävention, Übungen. Unter Mitarbeit von Bernhard Richter und Alexandra Türk-Espitalier. Leipzig: Henschel.
Weiterbildung:
Musikphysiologie für MusikerInnen und MusiklehrerInnen an der Universität für Musik und darstellende Kunst Wien
Alexandra Türk-Espitalier und Stefanie Petelin | 19.04.2019